Nach einer gefühlt endlosen Sondierungsphase und relativ kurzen Koalitionsverhandlungen haben sich die Vertreter von CDU, CSU und SPD auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag geeinigt, in dem sie die Ziele ihrer Regierungszeit zusammengefasst haben. Nach dem Mitgliederentscheid der SPD steht einer großen Koalition jetzt nichts mehr im Weg. Im Arbeitsrecht sind folgende erhebliche Änderungen geplant:
Die Gründung und Wahl von Betriebsräten soll erleichtert werden. Daher wird das vereinfachte Wahlverfahren nach § 14 a BetrVG für alle Betriebe mit 5 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern (z. Zt. 5 bis 50 wahlberechtigte Arbeitnehmer) verpflichtend. In Betrieben mit 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern (z. Zt. 51 bis 100 wahlberechtigte Arbeitnehmer) besteht ein Wahlrecht zwischen dem vereinfachten oder regulären Wahlverfahren.
Konsequenz: Das Wahlverfahren in kleineren Betrieben wird kürzer.
Das Befristungsrecht soll deutlich arbeitnehmerfreundlicher werden. Die Befristungsmöglichkeiten werden eingeschränkt.
Sachgrundlose Befristungen sind nach dem Koalitionsvertrag zwar grundsätzlich weiterhin möglich. Um einem Missbrauch bei den Befristungen zu begegnen, sind jedoch einige wesentliche Änderungen geplant.
Für Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten soll eine Quote eingeführt werden. Danach dürfen sie nur noch maximal 2,5 % ihrer Belegschaft ohne Sachgrund befristet beschäftigen. Bei Überschreiten dieser Quote soll jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis automatisch als unbefristet zustande kommen.
Konsequenzen: Die Quote ist neu, gilt aber nur für „größere“ Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten.
Die zulässige Höchstdauer sachgrundloser Befristungen von Arbeitsverträgen soll verkürzt werden auf 18 Monate statt der bisherigen 24 Monate. Bis zu dieser Gesamtdauer soll auch nur noch eine einmalige Verlängerung möglich sein anstelle einer bis zu dreimaligen Verlängerung, die derzeit erlaubt ist.
Konsequenzen: Die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund wird eingeschränkt, was die Gesamtdauer und die Anzahl der möglichen Verlängerungen anbelangt.
Erstmals soll eine zeitliche Höchstgrenze auch für Befristungen mit Sachgrund gelten. So soll eine Befristung künftig dann nicht mehr zulässig sein, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestanden haben. Auf die Höchstdauer von fünf Jahren sind vorherige Entleihungen des nunmehr befristet eingestellten Arbeitnehmers durch ein oder mehrere Verleihunternehmen anzurechnen. Ein erneutes befristetes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber soll erst nach Ablauf einer Karenzzeit von drei Jahren möglich sein.
Konsequenzen: Die Sachgrundbefristung, die gerade im Bereich des öffentlichen Dienstes bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs und häufig darüber hinaus üblich ist, wird erheblich eingeschränkt, der Arbeitnehmerschutz wird deutlich erweitert. Kettenbefristungen sind nur noch bis zu einer Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von 5 Jahren möglich und danach erst wieder, wenn der Arbeitnehmer in den letzten 3 Jahren nicht im Arbeitsverhältnis zu diesem Arbeitgeber stand. Dabei werden erstmals Tätigkeiten des Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb angerechnet.
In das Arbeitszeitgesetz soll eine Tariföffnungsklausel aufgenommen werden, die Experimentierräume für tarifgebundene Unternehmen schafft. Hierüber soll eine Öffnung für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer ermöglicht sowie mehr betriebliche Flexibilität in der zunehmend digitalen Arbeitswelt erprobt werden. Auf Grundlage von Tarifverträgen soll durch Betriebsvereinbarungen insbesondere die Höchstarbeitszeit wöchentlich flexibler geregelt werden können.
Konsequenzen: Der Wortlaut des Vertrags spricht dafür, dass die Tarifvertrags- und Betriebsparteien mehr Möglichkeiten haben sollen, die „starren“ Grenzen des ArbZG zur täglichen Höchstarbeitszeit, zur Ruhezeit und möglicherweise auch zu den Pausen aufzuweichen. Die Einzelheiten müssen abgewartet werden.
Die Regelungen zur Arbeit auf Abruf sollen überarbeitet werden, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Arbeitsform mehr Planungs- und Einkommenssicherheit erhalten. Es soll daher gesetzlich geregelt werden, dass der Anteil abzurufender und zu vergütender Zusatzarbeit die vereinbarte Mindestarbeitszeit um höchstens 20 % unterschreiten und 25 % überschreiten darf. Wenn es keine Vereinbarung zur wöchentlichen Arbeitszeit gibt, soll eine Arbeitszeit von 20 Stunden gelten.
Konsequenzen: Ist die wöchentliche Arbeitszeit nicht vereinbart, gilt z. Zt. eine solche von mindestens 10 Stunden. Künftig soll dieser Wert verdoppelt werden. Die Unter- oder Überschreitung der vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit soll nur noch in Grenzen möglich sein. Ob damit auch die mitbestimmte (§ 87 Absatz 1 Nr. 3 BetrVG) „Mehrarbeit“ bzw. die „Überstunden“ gemeint sind, ist nicht sicher feststellbar.
Im Teilzeit- und Befristungsrecht soll ein Recht auf befristete Teilzeit eingeführt werden. Der Anspruch auf die befristete Herabsetzung der Arbeitszeit soll allerdings nur in Unternehmen gelten, die in der Regel insgesamt mehr als 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen. Für Unternehmen mit 46 bis 200 Mitarbeitern soll es eine „Zumutbarkeitsgrenze“ geben. Das bedeutet, dass in solchen Unternehmen lediglich einem Arbeitnehmer pro angefangenen 15 Mitarbeitern der Anspruch gewährt werden muss. Bei Überschreitung dieser Grenze soll der Arbeitgeber einen Antrag ablehnen können. Ein Ablehnungsrecht soll der Arbeitgeber außerdem erhalten, wenn die vom Arbeitnehmer gewünschte befristete Teilzeit ein Jahr unter- oder fünf Jahre überschreitet. Den Tarifvertragsparteien wird allerdings die Möglichkeit gegeben, hiervon abweichende Regelungen zu vereinbaren. Während der zeitlich begrenzten Teilzeitarbeit soll weder ein Anspruch auf Verlängerung noch auf weitere Verkürzung der Arbeitszeit oder auf vorzeitige Rückkehr zur früheren Arbeitszeit bestehen. Nach Ablauf der zeitlich begrenzten Teilzeitarbeit soll der Arbeitnehmer frühestens nach einem Jahr eine erneute Verringerung der Arbeitszeit verlangen können.
Konsequenzen: Das Recht auf befristete Teilzeit war schon Gegenstand des letzten Koalitionsvertrags, ist aber bislang nicht umgesetzt worden. Zurzeit hat ein Arbeitnehmer allenfalls Anspruch auf unbefristete Teilzeit, verbunden mit der vagen Hoffnung, später wieder in Vollzeit beschäftigt zu werden (§ 9 TzBfG). Sollten die geplanten Änderungen endlich auf den Weg gebracht werden, so wird der Arbeitnehmerschutz deutlich erweitert. Teilzeit ist dann keine „Einbahnstraße“ mehr.
Die folgenden Tage und Wochen werden zeigen, welche Gesetzesänderungen unsere neue Regierung auf dem Weg bringen wird und welche nicht. Es bleibt auf jeden Fall spannend.