Verbrauch von Urlaub bei Quarantäne? Gesetzgeber schneller als die Rechtsprechung!

Düwell, Franz Josef

Autor: Professor Franz Josef Düwell

Vorsitzender Richter am BAG a. D.

 

Die Rechtsgrundlage für häusliche Quarantäne

Zur Unterbrechung der Infektionsketten wird in der Corona-Pandemie  gegenüber Kontaktpersonen von Infizierten mehrtägige Quarantäne angeordnet. Diese kann auf  eine solche Absonderungsanordnung § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG gestützt werden.  Nach dieser Vorschrift trifft das zuständige Gesundheitsamt, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider*innen festgestellt werden oder sich ergibt, dass eine verstorbene Person krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider*in war, die notwendigen Schutzmaßnahmen. Sie kann soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist,  insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.(1)

Das arbeitsrechtliche Problem

Fallen Tage  eines genehmigten Erholungsurlaubs in die Zeit der behördlich angeordneten häuslichen Quarantäne, stellt sich die arbeitsrechtliche Frage, ob diese Tage auf die Erfüllung des Urlaubsanspruchs angerechnet werden. Gesetzlich ist die Anrechnung von urlaubsstörenden Zeiten wie folgt in § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) geregelt: „Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.“ Der Wortlaut der Vorschrift erlaubt nur dann eine Anrechnung, wenn die Beschäftigten selbst infolge eigener Erkrankung arbeitsunfähig sind. Umstritten ist, ob § 9 BUrlG entsprechend (in der aus dem Lateinischen entlehnten Begrifflichkeit der Juristen „analog“) anwendbar ist. Die Rechtsprechung hat mit Ausnahme des LAG Hamm eine analoge Anwendung ohne bestehende Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossen, da es sowohl an einer planwidrigen Lücke als auch an einer vergleichbaren Interessenlage fehle.(2) Nur nach Auffassung des LAG Hamm soll demgegenüber die selbst bestimmte Freizeitgestaltung maßgebend sein. Bereits am 16.08.2022  wurde über die gegen die Entscheidung des LAG Hamm vom Arbeitgeber eingelegte Revision vor dem BAG verhandelt.

Das Vorabentscheidungsersuchen des BAG

Das BAG hat nicht durchentschieden, sondern den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Vorabentscheidung ersucht. Es hielt für entscheidungserheblich, ob die Ablehnung der analogen Rechtsanwendung von § 9 BUrlG auf Quarantänefälle mit Unionsrecht im Einklang steht.(3)

Das Parlament auf der Überholspur

Wenige Tage nach der Pressemitteilung das BAG wurde das Parlament initiativ. Die Bundestagsfraktionen der SPD, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP brachten am  26.08.2022 einen Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 in den Bundestag (4) ein.(5) Der Änderungsantrag hat folgenden Inhalt:

㤠59 Infektionsschutzgesetz (IfSG)

Arbeits- und sozialrechtliche Sondervorschriften

  1. Wird ein Beschäftigter während seines Urlaubs nach § 30, auch in Verbindung mit § 32, abgesondert oder hat er sich auf Grund einer nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 erlassenen Rechtsverordnung abzusondern, so werden die Tage der Absonderung nicht auf den Jahresurlaub angerechnet….“

Zur Begründung wird in dem Antrag ausgeführt: „Es handelt sich für nicht Erkrankte (vgl. sonst bereits § 9 BUrlG bzw. § 9 EUrlV) um eine klarstellende Regelung…. Die Absonderung ist unverzüglich gegenüber dem Arbeitgeber anzuzeigen und nachzuweisen“.  Der Ausschuss hat am 06.09.2022 dem Bundestag die Annahme des Änderungsantrags empfohlen.(6) Der Bundestag hat darauf am 08.09.2022 das Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 beschlossen.(7) Nach Zustimmung des Bundesrats(8) ist das beschlossene Gesetz am 16.09.2022 ausgefertigt und noch am selben Tag, dem 16.09.2022, verkündet worden.(9) Die in Art. 1 Nr. 20b des Gesetzes enthaltene Neufassung des § 59 Abs. 1 IfSG ist nach Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes am Tag nach der Verkündung, also am 17.09.2022, in Kraft getreten.

Was bedeutet dies für Alt- und Neufälle?

Mit der Neuregelung ist für die Zeit ab 17.09.2022 die in der Rechtsprechung umstrittene Rechtslage zugunsten der vom LAG Hamm vertretenen Auffassung gesetzlich klargestellt. Das Vorabentscheidungsersuchen des BAG hat jedoch für Altfälle, die vor diesem Zeitpunkt liegen, noch Bedeutung. Es hat sich deshalb nicht erledigt.  Angesichts der gesetzlichen Klarstellung ist  jedoch empfehlenswert, sich an der Neuregelung zu orientieren und die Altfälle gütlich beizulegen.

 

(1) So für die  häusliche Quarantäne wegen Kontakt zu einer an Affenpocken erkrankten Person VG Hamburg 28. 7.2022 – 14 E 3105/22 – juris.

(2) So LAG  Bremen, 31.5.2022 – 1 Sa 169/21 –, juris, LAG Düsseldorf 15.10.2021 - 7 Sa 857/21; LAG Köln 13.12.2021 - 2 Sa 488/21; LAG Bremen vom 10.02.2022 - 2 Sa 137/21; LAG Schleswig-Holstein  15.02.2022 - 1 Sa 208/21, LAG Baden-Württemberg  16.02.2022 - 10 Sa 62/21, juris ; aA, LAG Hamm  27.01.2022 -  5 Sa 1030/21.

(3) BAG 16.8. 2022 – 9 AZR 76/22 (A), Pressemitteilung des BAG 30/22

(4) Bundestagdrucksache 20/2573 vom 05.07.2022

(5) 5. Änderungsantrag vom 26.08.2022 Drucksache des Ausschusses für Gesundheit 20 (14) 50

(6) BT-Drucksache 20/3312.

(7) BT-Plenarprotokoll 20/51 S. 5485C-5485C

(8) BR-Drucksache 433/22(B) (Beschluss)

(9) BGBl I, 1464