Neues zum Anspruch auf Freistellungstage

 

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Der Fall:

Die Klägerin verlangt die Gewährung von acht Freistellungs- bzw. Ersatzfreistellungstagen gemäß § 25 Ziffer 1 MTV der Metall- und Elektroindustrie NRW. Sie ist seit 2000 bei der Arbeitgeberin als Montiererin in Vollzeit im 2-Schicht-System beschäftigt. Vor dem 31.10.2018 beantragte sie gegenüber der Beklagten statt des tariflichen Zusatzgelds eine tarifliche Freistellung in Höhe von acht Tagen für das Kalenderjahr 2019. Der Antrag wurde durch die Beklagte abgelehnt. Daraufhin erhob die Montiererin Klage.

In § 25 des MTV für die Metall- und Elektroindustrie NRW vom 08.11.2018 heißt es wie folgt: „Beschäftigte können nach Maßgabe nachfolgender Bestimmungen verlangen, statt des tariflichen Zusatzgeldes ... eine Freistellung in Anspruch zu nehmen.

25.1 Anspruchsberechtigte

Die Möglichkeit eine bezahlte Freistellung in Anspruch zu nehmen, besteht für folgende Beschäftigtengruppen:

a) Beschäftigte mit einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden, die ... in Wechselschicht arbeiten (ab dem 1. Januar 2019 nach einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren und nachdem sie 10 Jahre beim derzeitigen Arbeitgeber üblicherweise in Schicht gearbeitet haben, ...) und voraussichtlich im Folgejahr in einem der vorgenannten Schichtmodelle beschäftigt sein werden. ...

25.3 Freistellungsumfang

Der Freistellungsanspruch beträgt acht Tage für Beschäftigte, bei denen sich die Arbeitszeit regelmäßig auf fünf Tage pro Woche verteilt.
Grundsätzlich erfolgt die Inanspruchnahme in Form von ganzen freien Tagen, vergleichbar dem Verfahren bei der Urlaubsnahme. ...  Bei der zeitlichen Festlegung der Freistellung sind die Wünsche des Beschäftigten im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten zu berücksichtigen. Kann der Freistellungsanspruch aus personenbedingten Gründen nicht oder nicht vollständig im Kalenderjahr genommen werden, geht der Freistellungsanspruch unter. ...“

Die Klägerin meint, ihr stünden für das Kalenderjahr 2019 acht Freistellungstage dem Grunde nach zu. Sie sei seit Beginn des Arbeitsverhältnisses und auch im Jahre 2019 im Zweischichtbetrieb beschäftigt gewesen. Die Voraussetzungen des § 25.1 a) des MTV lägen vor. Da der Arbeitgeber den Anspruch im Jahre 2019 nicht erfüllt habe, sei dieser in das Jahr 2020 übertragen worden.

Die Beklagte meint, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

Die Klägerin habe nicht angegeben, welche Freistellungstage sie konkret begehrt.

Zudem seien die tatbestandlichen Voraussetzungen des 25.1 a) 2. Fall MTV nicht erfüllt. Die Prognose, die Klägerin werde in 2019 im 2-Schicht System für die Beklagte tätig werden, sei bei Antragstellung nicht gerechtfertigt gewesen. Die Klägerin habe für die Beklagte auch nicht mindestens 10 Jahre zuvor „üblicherweise“ in Wechselschicht gearbeitet. Schließlich sei der Freistellungsanspruch begrenzt auf das Kalenderjahr 2019 und nun (2020) wegen Zeitablaufs erloschen.

Die Lösung:

Die Klage hatte Erfolg. Die Klägerin hat aus dem Kalenderjahr 2019 noch Anspruch auf Gewährung von acht Ersatzfreistellungstagen.

  • Die Klägerin hat rechtzeitig einen Antrag auf Gewährung von acht Freistellungstagen für das Jahr 2019 gestellt.
     
  • Sie war nicht verpflichtet, bereits vor dem 31.10.2018 mitzuteilen, wann sie in 2019 ihre Freistellungstage nehmen will.
     
  • Die Klägerin hat auch gemäß § 25.1 a) 2. Fall Anspruch auf bezahlte Freistellung für acht Tage aus dem Kalenderjahr 2019.
     
  • Die Anspruchsvoraussetzungen (mind. 15 Jahre Betriebszugehörigkeit, mindestens 10 Jahre üblicherweise in Wechselschicht beschäftigt) liegen vor. Denn „üblicherweise in Schichtarbeit tätig“ meint, dass die Schichtarbeit für das Arbeitsverhältnis prägend gewesen sein muss. Kurze Unterbrechungen der Schichtarbeit durch Urlaubnahme, Krankheit, Elternzeit und Sabbatical sind ebenso unbeachtlich wie eine vorübergehende Tätigkeit im gesundheitlich belastenderen 3-Schicht-System oder in der Nachtschicht.
     
  • Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung, also bis zum 31.10.2018 feststand, dass die Klägerin in 2019 nicht in Wechselschicht arbeiten würde.
     
  • Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht am 31.12.2019 erloschen. Lediglich dann, wenn noch nicht konkret terminierte Freistellungstage aus personenbedingten Gründen - etwa fortlaufender Arbeitsunfähigkeit - nicht mehr festgelegt werden können, erlischt der Freistellungsanspruch (§ 25.3. 3. Absatz MTV). In allen anderen Fällen wird der Freistellungsanspruch auf das folgende Jahr übertragen, etwa wenn - wie hier - der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht beachtet und rechtsirrig annimmt, nicht zur Gewährung von Freistellungstagen verpflichtet zu sein.

Hinweis für die Praxis:

In vielen Bundesländern haben sich Arbeitgeberverbände und IG Metall in 2018 auf ähnliche oder gar gleichlautende Regelungen verständigt. Die tariflichen Regelungen sind alles andere als eindeutig und lassen viele Auslegungsspielräume zu. Auch aus diesem Grunde gibt es bundesweit eine Vielzahl von Klageverfahren. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamm ist eine der ersten - bereits begründeten - Urteile, jedenfalls in NRW. Wie das BAG sich zu den Problemen positionieren wird, ist wohl völlig offen. Es wäre zu wünschen,

  • dass die Tarifvertragsparteien die Regelungen eindeutiger und rechtssicherer gestalten und
     
  • bis dahin Arbeitgeber und Betriebsrat die Möglichkeiten nutzen, durch Abschluss von Betriebsvereinbarungen die Anwendung der Tarifregelungen möglichst rechtssicher und gerecht zu gestalten.