Beschlussfassung im BR: Kann ich einfach gar nicht mit abstimmen?

Von: Heike Holtmann, Ass. jur. & Mediatorin

Neulich in der BR-Sitzung: Es soll ein Beschluss gefasst werden zu einem eher schwierigen und auch strittigen Thema. Einige BR-Mitglieder sind unschlüssig, wie Sie sich verhalten möchten – und erklären dann einfach, nicht mit abstimmen zu wollen.

Zulässig oder nicht? Liegt ggf. sogar ein Verstoß gegen das BetrVG vor? Die Kolleg*innen könnten sich doch auch einfach enthalten?

Die Frage könnte aufkommen, da bei der Beschlussfassung mit Ja, Nein oder Enthaltung abgestimmt werden kann. Gemäß § 33 Abs. 1 BetrVG ist ein Beschluss bei Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst. Auch per Video- oder Telefonkonferenz ist eine Teilnahme möglich, die BR-Mitglieder gelten dann als anwesend.

Formel für die Mehrheitsberechnung:

Eine Mehrheit ist nur erreicht, wenn die Zahl der Ja-Stimmen höher ist, als die Zahl der anwesenden BR-Mitglieder geteilt durch zwei.

Beispiele:

  • Abstimmung im 9er BR: 5 Ja + 4 Nein => Ergebnis: Antrag angenommen
  • Abstimmung im 9er BR: 4 Ja + 3 Nein + 2 Enthaltungen => Ergebnis: Antrag abgelehnt, obwohl mehr Ja- als Nein-Stimmen: die Enthaltungen werden wie Nein-Stimmen gezählt.

Bei Unschlüssigkeit zum Thema, aber mit leichter Tendenz zu „Ja“, würde eine Enthaltung also als Nein-Stimme gezählt. Um dies zu vermeiden kann das BR-Mitglied auch erklären, nicht an der Abstimmung teilnehmen zu wollen.

Was passiert dann aber (rechtlich)?

BR-Mitglieder, die sich nicht an der Abstimmung beteiligen, sind nicht „anwesend“!  D.h. sie sind zwar im Raum, gelten aber als abwesend für die Mehrheitsberechnung, weil sie nicht teilnehmen.

So als ob sie den Raum physisch verlassen hätten.

Beispiel:

  • Abstimmung im 9er BR: 4 Ja + 2 Nein + 1 Enthaltung + 2 Erklärungen „Nicht-Teilnahme“ => Ergebnis: Antrag angenommen, da die Enthaltung zwar als „Nein“ gezählt wird, aber sich so immer noch eine Mehrheit von 4 zu 3 ergibt, da 2 BR-Mitglieder nicht teilgenommen haben und als abwesend gelten.

Aber vorher ist es noch einmal spannend, denn es kann sein, dass durch die Erklärung „Nicht-Teilnahme“ und damit „Abwesenheit“ nicht mehr mindestens die Hälfte der BR-Mitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt und damit die Beschlussfähigkeit wegfällt (vgl. § 33 Abs. 2 BetrVG).

Beispiel:

  • Wir haben einen 11er Gremium, die BR-Sitzung findet aber nur mit 6 Mitgliedern statt, Abstimmung: 5 Ja + 1 Erklärung „Nicht-Teilnahme“ => Ergebnis: Der BR ist damit nicht beschlussfähig, da nur 5 Mitglieder teilnehmen würden, und damit weniger als mindestens die Hälfte der BR-Mitglieder (nämlich 6)

Merke also:

Die Erklärung eines BR-Mitglieds, nicht an der Beschlussfassung teilnehmen zu wollen, ist zulässig. Dadurch kann aber die Beschlussfähigkeit des Gremiums beeinträchtigt sein, falls infolgedessen dann weniger als die Hälfte der BR-Mitglieder an der Abstimmung teilnehmen.

Praxistipps:

  • BR-Vorsitzende sollten in Zweifelsfällen nachfragen, ob das BR-Mitglied an der Abstimmung nicht teilnehmen will oder sich der Stimme enthalten möchte.
  • Er/Sie muss dann weiter prüfen, ob die Beschlussfähigkeit noch gegeben ist und bei fehlender Beschlussfähigkeit eine entsprechende Feststellung treffen und dies in das Protokoll aufnehmen.
  • Und Achtung: Ist ein Betriebsratsmitglied persönlich unmittelbar betroffen von dem Thema, über das abgestimmt werden soll, so darf es nicht mitstimmen (Beispiel Versetzung oder Kündigung). Es darf auch nicht an den Beratungen dazu teilnehmen – Fall der „rechtlichen“ Verhinderung. Zu diesem Tagesordnungspunkt ist das Ersatzmitglied zu laden anstelle des betroffenen BR-Mitglieds.

Zusammenfassung: Fälle der Nicht-Teilnahme an der Beschlussfassung

  • Von Vorneherein nicht in der Sitzung (Ersatzmitglied geladen?)
  • Kurzzeitige physische Abwesenheit, z. B. Raum kurz verlassen
  • Per Erklärung, nicht teilnehmen zu wollen
  • Psychische Abwesenheit („Der eingeschlafene Kollege“ – vgl. Bsp. in Bopp/Beseler/Ehrich, Geschäftsführung des Betriebsrats und Arbeit des Gesamtbetriebsrats, Rieder-Verlag, 5. Auflage 2023, S.115)