Was macht eigentlich unser Betriebsrat den ganzen Tag?

 

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Eine Hommage an die betrieblichen „Ehrenämtler“ – eine Lektion für Geschäfts- und Personalleitungen

von: Dr. G. Linn, Trainer und Coach

„Bei mir wird nur Führungskraft, wer mindestens eine Wahlperiode Betriebsrat war!“

Was für ein Satz, was für eine Aussage! Dieses Statement wird Reinhard Mohn, dem Gründer und Lenker des Bertelsmann Konzerns nachgesagt. Nicht nur in dieser Hinsicht war Mohn als Unternehmer eine Ausnahmeerscheinung. Schon früh hatte er die besondere Bedeutung von Betriebsräten für ein mitbestimmungsgeprägtes Unternehmen erkannt und im Sinne vertrauensvoller Zusammenarbeit gehandelt. Das Ganze liegt mindestens zwanzig Jahre zurück, hat aber nicht an Bedeutung verloren.

Ist vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle des Betriebs heute Standard in deutschen Unternehmen? Haben Geschäfts- und Personalleitungen aktuell die herausragende Bedeutung guter Betriebsräte für einen florierenden Betrieb verstanden? Ja und nein.

Ich hatte die Gelegenheit in den letzten Jahren mit zahlreichen, engagierten Betriebsräten zu sprechen. Viele beklagten sich bitter über rigide und ignorante Geschäfts- und Personalleitungen, die offensichtlich an keiner vertrauensvollen Zusammenarbeit interessiert waren. 60 % bis 80 % der Betriebsratsarbeit würde – so die befragten Betriebsräte - in unnützen Grabenkämpfen geopfert, zur eigentlichen Arbeit komme man kaum.

Einige Vorstände und Geschäftsleitungen machen aus ihrer strikten Ablehnung gegenüber der Mitbestimmung keinen Hehl. Es gibt Anwaltskanzleien, die für viel Geld Strategieseminare zur „Neutralisierung“ von Betriebsratsarbeit anbieten. Wie kann das sein? Was hat Reinhard Mohn dazu veranlasst, eine grundsätzlich andere Haltung einzunehmen?

Seine Ausgangsfrage: Was machen eigentlich Betriebsräte den ganzen Tag? Welche Kompetenzen muss er/sie mitbringen, um diesen anspruchsvollen Job gut und kompetent ausführen zu können? Die Antwort ist vielschichtig.

Grundsätzlich gilt: Betriebsräte müssen in der Lage sein mit Geschäftsleitungen auf Augenhöhe zu kommunizieren. Das ist leichter gesagt als getan. Oft werden Betriebsräte nach erfolgreicher Wahl aus dem gewerblichen oder Angestelltenbereich in neue, komplexe Aufgabenstellungen „hineinkatapultiert“ und sollen gegenüber der Leitungsebene eigene Vorstellungen im Rahmen ihrer Betriebsratstätigkeit präsentieren, vertreten und ggf. durchsetzen. Um das erfolgreich umsetzen zu können, sind diverse Kompetenzen vonnöten.

  • Grundlegend ist die Kenntnis des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Nur wer sich hier auskennt, ist in der Lage Rechte und Pflichten im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung anzuwenden. Alle, die in dieses Gesetz geschaut haben, wissen: Das ist keine triviale Aufgabe. Das allein reicht aber nicht aus. Kenntnisse sind auch gefragt im Zusammenhang mit z. B. dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG), dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), dem BGB etc.
  • In einer anderen Rolle ist der Betriebsrat als Psycholog*in und Sozialarbeiter*in gefragt. Täglich gibt es Beratungsbedarf, wenn Beschäftigte des Betriebs sich mit diversen Problemen an „ihren“ Betriebsrat wenden. Oft sind betriebliche mit privaten Problemstellungen verbunden: Suchtproblematik, allgemeine Überforderung, Burn-out, Alleinerziehungsproblematik, Überschuldung, Mobbing, Diskriminierung, etc.
  • Weiter sind Fähigkeiten als Mediator*in und Kommunikationstalent gefragt. Hier muss ein zerstrittenes Betriebsratsgremium zusammengehalten und neu ausgerichtet werden, da sind besondere Kommunikationsfähigkeiten bei der Schlichtung in Streitfällen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden gefragt und dort sind Auseinandersetzungen zwischen Betriebsratsmitgliedern und Personalleitungen zu moderieren usw.
  • In Betrieben mit einem Wirtschaftsausschuss sind Betriebsräte darüber hinaus in betriebswirtschaftlichen Fragestellungen gefordert. Das Lesen und Verstehen einer Bilanz z. B. ist nicht selbsterklärend. Mindestens Grundkenntnisse sind notwendig.
  • Zum Kerngeschäft eines Betriebsrats gehört die Kunst der Verhandlung. Betriebsvereinbarungen zu den unterschiedlichsten Themen vorzubereiten, mit der Geschäftsleitung zu verhandeln und umzusetzen, ist eine der besonderen Herausforderungen, der sich jedes Betriebsratsgremium stellen muss. Leichter gesagt als getan. Auch an dieser Stelle muss Kompetenz aufgebaut und gehalten werden.
  • „Die im Betriebsrat trinken ja doch nur Kaffee“, ist nicht nur ein verbreitetes Vorurteil in manchen Geschäftsleitungen, sondern wird sehr oft auch von der Belegschaft geteilt. Viele wissen hier tatsächlich nicht, was der Betriebsrat macht.  Also kann das Motto nur lauten: „Tue Gutes und rede darüber“. Der Betriebsrat ist also auch in guter „Öffentlichkeitsarbeit“ gefragt einschließlich grundlegender Marketingkenntnisse.
  • In diesem Kontext ist die Betriebsversammlung von besonderer Bedeutung. Das ist der Event, auf dem u. a. der Rechenschaftsbericht des Betriebsrats vorgetragen wird. Nicht selten vor hunderten von Kolleg*innen. Eine besondere rhetorische Herausforderung! Unabhängig davon muss die ganze Veranstaltung regelmäßig geplant, vorbereitet und kurzweilig umgesetzt werden. Hier ist also der Betriebsrat als „Eventmanager*in“ und Organisator*in gefragt. Auch das will gelernt und geübt sein.
  • Und schließlich die Leitung des Betriebsratsgremiums durch den Vorsitz bzw. die Stellvertretung. Bei einem 5er oder 7er Gremium mag das noch überschaubar sein. Bei Gremien mit mehr als 20 Betriebsratsmitgliedern handelt es sich schon um „kleine Parlamente“, die moderiert und geführt werden müssen, einschließlich Teambildung, Konfliktlösung und Beschlussfähigkeit. Das Besondere: Der oder die Betriebsratsvorsitzende sind „primus/prima inter pares“, also Erster/Erste unter Gleichen.
  • Es gibt kein Weisungs- oder Sanktionsrecht. Das Betriebsratsgremium muss überzeugt werden, an erster Stelle mit guten Argumenten. Das setzt eine Führungspersönlichkeit voraus, die dazu auch in der Lage ist.

Zusammenfassend: Bei den dargestellten Kompetenzfeldern handelt es sich ausnahmslos um Führungsqualifikationen. Gute und engagierte Betriebsräte – und nur von denen ist hier die Rede – eignen sich diese Kompetenzen mit viel Mühe, Fleiß und Geduld an. Sie werden dafür nicht extra bezahlt, weil sie ein Ehrenamt bekleiden. Auch das soll an dieser Stelle hervorgehoben werden!

Betriebsräte sind Seismographen des Unternehmens. Sie erkennen in der Regel früher und schneller als Personalabteilungen und Geschäftsleitungen, wo Eruptionen auftreten, wo Probleme entstehen und gelöst werden müssen. Sie haben besser als andere Augen und Ohren an der Basis. 

Und jetzt kommt wieder Reinhard Mohn ins Spiel. Offensichtlich hat er diese Kompetenzen und das besondere Engagement „seiner“ Betriebsräte frühzeitig erkannt, entsprechend bewertet und im Rahmen vertrauensvoller Zusammenarbeit genutzt.

Ich wünsche vielen mitbestimmungskritischen Geschäfts- und Personalleitungen diese Erkenntnis. Der betriebliche Alltag, die Berufszufriedenheit und die Motivation der Mitarbeiter,*innen wie auch die Effizienz mancher Unternehmen sähe besser aus!