I. Klageverzichtsklausel in einem Aufhebungsvertrag

 

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Ein Klageverzicht in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Aufhebungsvertrag unterliegt einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Wird ein solcher Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag erklärt, der zur Vermeidung einer vom Arbeitgeber angedrohten außerordentlichen Kündigung geschlossen wird, benachteiligt dieser Verzicht den Arbeitnehmer unangemessen, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte.

BAG, Urteil vom 12. März 2015 - 6 AZR 82/14 -

Der Fall:

Der Kläger war seit 2001 bei der Beklagten beschäftigt. Am 28. Dezember 2012 schlossen die Parteien einen schriftlichen Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis ohne Zahlung einer Abfindung mit dem 28. Dezember 2012 endete. Zuvor hatte die Beklagte dem Kläger mit einer außerordentlichen Kündigung und Strafanzeige gedroht, weil er aus ihrem Lagerbestand zwei Fertigsuppen ohne Bezahlung entnommen und verzehrt habe. Der Vertrag enthielt u. a. einen Widerrufs- und Klageverzicht.

Der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findende Manteltarifvertrag für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen enthält in § 11 Abs. 10 folgende Regelung:

„Auflösungsverträge bedürfen der Schriftform. Jede der Parteien kann eine Bedenkzeit von drei Werktagen in Anspruch nehmen. Ein Verzicht hierauf ist schriftlich zu erklären.“

Noch am 28. Dezember 2012 focht der Kläger den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung an und begehrt im vorliegenden Rechtsstreit die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Die Androhung einer außerordentlichen Kündigung sei angesichts des langjährigen, unbelasteten Bestands des Arbeitsverhältnisses nicht vertretbar gewesen.

Die Lösung:

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das LAG hat ihr stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat das BAG das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das LAG zurückverwiesen.

  • Auf die Wirksamkeit des Verzichts auf die tariflich eröffnete Widerrufsmöglichkeit kam es nicht an, weil der Kläger innerhalb der Widerrufsfrist keinen Widerruf im Sinne von § 11 Abs. 10 MTV erklärt hat.
      
  • Jedoch nimmt der im Aufhebungsvertrag vorgesehene Klageverzicht dem Kläger im Ergebnis die Möglichkeit, den Vertrag rechtlich durchsetzbar anzufechten. Das ist mit dem gesetzlichen Leitbild nur zu vereinbaren, wenn die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung nicht widerrechtlich war. Im Ergebnis teilt damit die Klageverzichtsklausel das rechtliche Schicksal des Aufhebungsvertrags. Das LAG muss noch aufklären, ob eine widerrechtliche Drohung vorlag.

Hinweis für die Praxis:

Eine für Juristen überraschende Entscheidung. Es geht um 3 Komplexe, nämlich

(1) um den Aufhebungsvertrag selbst,
(2) um den Verzicht auf das tarifvertraglich eingeräumte Widerrufsrecht und
(3) um die Erklärung des Klägers, keine Klage gegen den Aufhebungsvertrag zu erheben (sog. Klageverzichtserklärung).

  • Ob der Verzicht auf den tarifvertraglich geregelten Widerruf des Aufhebungsvertrages wirksam ist, hat das BAG nicht entschieden, weil es darauf nicht ankommen soll. Denn der Kläger hat keinen Widerruf innerhalb der tariflich geregelten Frist erklärt. Das bedeutet: Hätte der Kläger rechtzeitig den Aufhebungsvertrag nicht nur angefochten, sondern ihn auch widerrufen, hätte das BAG sich mit der - interessanten - Rechtsfrage auseinandersetzen müssen, unter welchen Voraussetzungen ein Verzicht auf das tarifvertraglich geregelte Widerrufsrecht möglich ist.
      
  • Der Aufhebungsvertrag an sich, also die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des BAG keiner AGB-Kontrolle, auch wenn der Arbeitgeber den Aufhebungsvertrag „vorformuliert“ hat, was der Regelfall sein dürfte. Denn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag weicht nicht von Rechtsvorschriften ab (§ 307 Absatz 3 BGB) und unterliegt somit keiner Inhalts- bzw. Angemessenheitskontrolle im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. BAG, Urteil vom 8. Mai 2008 - 6 AZR 517/07).Allerdings kann der Arbeitnehmer sein „Einverständnis“ im Aufhebungsvertrag gegebenenfalls anfechten, wenn er vom Arbeitgeber bedroht oder arglistig getäuscht worden ist (§ 123 BGB) bzw. wenn er einem beachtlichen Inhaltsirrtum (§ 119 BGB) „aufgesessen ist“. Erklärt etwa der Arbeitgeber wie im vom BAG entschiedenen Fall, wenn der Arbeitnehmer den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichne, werde er eine fristlose und außerordentliche Kündigung aussprechen sowie eine Strafanzeige gegen den Arbeitnehmer stellen, kommt eine Anfechtung wegen „widerrechtlicher Drohung“ in Betracht, wenn ein „redlicher und vernünftiger Arbeitgeber“ damit nicht gedroht hätte (vgl. BAG, Urteile vom 28. November 2007 - 6 AZR 1108/06 und 27. November 2003 - 2 AZR 135/03). Aber Vorsicht: die Drohung ist nicht bereits dann widerrechlich und rechtfertigt eine Anfechtung, wenn eine Kündigung, wäre sie wegen der Vorfälle ausgesprochen worden, unter Umständen unwirksam gewesen wäre. Im Anfechtungsverfahren wird kein Kündigungsschutzprozess geführt.Somit führt die Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung nur dann zur Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages, wenn keinerlei vernünftiger Anlass bestanden hat, mit einer Kündigung oder Strafanzeige zu drohen.Sollte der Kläger - was unstreitig zu sein scheint - 2 Tütensuppen, die im Eigentum des Arbeitgebers standen, an sich genommen und verzehrt haben, mag eine deshalb ausgesprochene Kündigung unwirksam sein (insbesondere wegen der Länge des Arbeitsverhältnisses); ob ein redlicher Arbeitgeber mit einer Kündigung „drohen durfte“, mag aber durchaus anders entschieden werden. Denn auch ein verständiger Arbeitgeber durfte wohl bei einer Unterschlagung seitens des Arbeitnehmers den Ausspruch einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen.
  • Die Klageverzichtserklärung des Klägers im Aufhebungsvertrag wird das LAG nach Zurückverweisung durch das BAG nun weiter beschäftigen.(1) Das BAG hat bereits durch Urteil vom 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 -) festgestellt, dass der formularmäßige Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach kurz zuvor erklärter Kündigung einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB nicht standhält, sofern der Verzicht ohne „kompensatorische Gegenleistung“ des Arbeitgebers erfolgt. Das LAG Niedersachsen (Urteil vom 27. März 2014 - 5 Sa 1099/13) hat festgestellt, dass eine ausreichende Gegenleistung vorliegen kann, wenn der Arbeitgeber die Erteilung eines „guten“ Zeugnisses anbietet, sofern der Arbeitnehmer eigentlich nur Anspruch auf ein „befriedigendes“ Zeugnis hat.(2) Nun hat das BAG sich mit dem Fall beschäftigt, ob und wie eine Klageverzichtsvereinbarung ohne vorausgegangene Kündigung allein bei Vorliegen eines Aufhebungsvertrages von den Arbeitsgerichten geprüft werden kann. Demnach sind der Aufhebungsvertrages und die Klagerverzichtsklausel unwirksam, wenn die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung widerrechtlich war. 
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