Mit Verhandlungskompetenz zum win-win-Abschluss

 

730x300 2 Frauen im ernsten Gespräch im Büro

von: Dr. Gottfried Linn, Trainer und Coach

„Das ist mein letztes Angebot. Wenn Sie das nicht akzeptieren, wird es kein Verhandlungsergebnis geben. Sie können mich zu gar nichts zwingen. Wer glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?“

Zugespitzt? –vielleicht. Übertrieben? –eher nicht.

Vielen Betriebsräten sind diese oder ähnliche Drohungen während diverser Verhandlungssituationen mit den Geschäftsleitungen durchaus vertraut. Wichtige Betriebsvereinbarungen, die lange überfällig sind, werden über Monate verschleppt oder kommen nicht zustande. Ob „JobRad“, mobiles Arbeiten, Zeiterfassung, Überstunden, Urlaubsregelungen und vieles mehr – oft werden lange Kämpfe ausgefochten, die Zeit, Geld und Nerven kosten, obwohl eine vernünftige Einigung im Interesse aller möglich wäre. Warum ist das oft so? Was sind die Gründe für Verhandlungen, die stagnieren oder abgebrochen werden?

Beide Seiten haben bestimmte Positionen, die sie vehement vertreten. Oft geht es nicht um die „Sache“, sondern um Kampf, in dem „gewonnen“ oder „verloren“ wird. Animositäten prägen das Verhandlungsszenario, persönliche Beziehungen werden beschädigt, nicht selten mit irreversiblen Folgen für weitere Verhandlungsrunden. Die Fixierung auf Positionen macht es schwierig, nach anderen Lösungen zu suchen, die vielleicht für beide Seiten besser wären.

Und genau hier setzt das bewährte Verhandlungsmodell der Harvard-Universität an, das sogenannte Harvard-Konzept.

  • Bei der Erarbeitung von Lösungen orientiert man sich primär an Interessen, nicht an Positionen. Damit ist die Chance verbunden, auf bisher nicht bedachten Wegen zum Erfolg zu kommen. Zu diesem Zweck versucht man, sich auch in die Lage des anderen hineinzuversetzen, um besser beurteilen zu können, wo bei ihm die Akzeptanzgrenze liegt.

Zur Erläuterung passt das bekannte Beispiel der Orange:

Zwei Kinder kommen zur Mutter. Jedes möchte unbedingt die eine Orange haben.

Die Mutter könnte nun die Orange halbieren und jedem Kind die Hälfte überreichen. Jede Position würde somit einen Anteil bekommen – ein klassischer Kompromiss.

Die Mutter stellt allerdings genau die richtige Frage: „Warum wollt ihr die Orange haben?“

Das erste Kind möchte gern einen frisch gepressten Saft trinken, während das andere einen Kuchen backen möchte und dafür die Schale der Orange benötigt.

Die eigentlichen Interessen bezogen sich also nur auf Teile der Orange. Durch das Hinterfragen wurde für alle Beteiligten die optimale Lösung gefunden.

  • Man trennt zwischen der Person und der Sache. Auch wenn man inhaltlich auseinander ist, respektiert man sich trotzdem als Mensch. In der Sache hart – zu den Personen fair!
  • Für die Verhandlung werden zwischen den beteiligten Parteien Spielregeln vereinbart. Welche Punkte werden wann verhandelt? Wer übernimmt die Verhandlungsführung? Zuhören ohne Unterbrechung, Redezeitbegrenzung etc.
  • Verhandlungen werden von einer Informationsphase eingeleitet, bei der jede Seite die ihr bekannten Fakten vorträgt.

 

Zusammengefasst: Ziel des Harvard-Prinzips ist es, Sach- und Beziehungsebene zu trennen, Interessen auszugleichen und Entscheidungsalternativen unter Verwendung neutraler Beurteilungskriterien zu suchen, um so einen Gewinn für alle Beteiligten zu schaffen – die klassische „Win – Win“ Situation.

Funktioniert das in der Praxis? Ja, im Prinzip schon! Allerdings setzt ein Erfolg des Harvard-Konzepts verschiedene Faktoren voraus.

  • Die handelnden Personen beider Seiten müssen sich an die vereinbarten Kriterien strikt halten. Da es sich immer um Menschen handelt, ist das in der Praxis schwierig genug.

Und was ist, wenn sich die „Gegenseite“ bewusst nicht an die Spielregeln hält, möglicherweise gar nicht an einer „Win-Win“ Situation interessiert ist und Verhandlungen mit den Betriebsräten als „Machtdemonstrationen“ der Geschäftsleitungen missbraucht werden?

Was ist, wenn der Betriebsrat sich nicht einmal intern auf eine gemeinsame Verhandlungsposition einigen kann? Oder wenn sich Betriebsrat und Geschäftsleitungen bislang nur über Einigungsstellenverfahren zwangsläufig „angenähert“ haben? Das führt zu einer zweiten Voraussetzung.

  • Gütliche Einigungen lassen sich nicht erzwingen. Verhandeln muss erlernt und geübt werden.

Die erfolgreiche Umsetzung des Harvard-Konzeptes setzt genau das voraus. Hinzu kommt, dass Betriebsräte, besonders wenn sie neu im Amt sind, sich ohnehin im Umgang mit der Geschäftsleitung „auf Augenhöhe“ schwertun.

Hier können praxisnahe Simulationen z. B. im Rahmen von Seminaren und Schulungen sehr hilfreich sein und das Grundgerüst für erfolgreiche Verhandlungen gut vermitteln.

  • Eine gute Vorbereitung ist nicht alles, aber ohne Vorbereitung ist alles nichts

Verhandlungen scheitern auch oft, weil die eine oder andere Seite nicht oder nur ungenügend vorbereitet ist. Für die Praxis ist folgende Checkliste hilfreich:

Vorbereitung auf die Verhandlungsführung

Welche Ziele möchten wir erreichen?

  • Welche Teilziele, welche Mindestziele müssen wir setzen?
  • Wo liegt unsere Schmerzgrenze?
  • Gibt es noch Nebenziele?
  • Auf welche Kompromisse können wir eingehen, was haben wir in Reserve?

Wer ist unser/e Gesprächspartner*in?

  • Worauf legt er/sie besonders viel Wert?
  • Wo liegt vermutlich die Schmerzgrenze?
  • Wo müssen wir ihn/sie „abholen“ (Meinung, Einstellung, Standpunkt)?
  • Kennen wir seine/ihre Wünsche, Interessen und Bedürfnisse?

Wie bauen wir das Verhandlungsgespräch auf und wie argumentieren wir?

  • Welche Eröffnung/Einleitung ist sinnvoll?
  • Wie werden wir argumentieren? Haupt- und Nebenargumente?
  • Wer trägt unsere Position vor? Haben wir das geübt?
  • Welche sonstigen Themen möchten wir besprechen?
  • Welche Reihenfolge ist dabei günstig? Beginnen wir mit unseren zentralen Argumenten?
  • Wie präsentieren wir uns methodisch?
  • Welche Zielvorstellungen untermauern wir mit welchen Argumenten?
  • Welches sind unsere stärksten Argumente?
  • Wo ist mit Widerstand zu rechnen?

Welches Fachwissen (Fakten) benötigen wir?

  • Auf welche Themen/Fachgebiete müssen wir uns noch vorbereiten?
  • Wer ist bei diesem Thema Experte/Expertin und kann uns bei der Vorbereitung auf die Verhandlung unterstützen?

 

Das Harvard- Verhandlungskonzept beinhaltet keine Garantie für erfolgreiche Verhandlungen mit einem von allen Beteiligten mitgetragenen Ergebnis. Halten sich allerdings die Verhandlungspartner*innen an die verabredeten Grundsätze und Prinzipien, sind die Erfolgsaussichten für einen „Win-Win“- Abschluss zum Wohle des Betriebs und seiner Belegschaft sehr hoch.