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Der Fall:

Die Klägerin ist Bahnhofsmitarbeiterin und arbeitet als Stationsaufsicht. Sie bat ihren Arbeitgeber mehrmals, sie an einem Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten einzusetzen, damit sie sich um ihren schwerbehinderten, vollinvaliden Sohn kümmern könne. Der Arbeitgeber gewährte ihr vorläufig bestimmte Anpassungen, lehnte es jedoch ab, diese Anpassungen auf Dauer zu gewähren.
Dagegen klagte die Klägerin vor den nationalen italienischen Gerichten. Der mit der Sache befasste italienische Kassationsgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Er hat Zweifel in Bezug auf die Auslegung des Unionsrechts zum Schutz vor mittelbarer Diskriminierung eines Arbeitnehmers, der sich, ohne selbst behindert zu sein, um sein schwerbehindertes minderjähriges Kind kümmert.

Die Lösung:

Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung gilt nach der Richtlinie 2000/78/EG zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf auch für Arbeitnehmende, die wegen der Unterstützung ihres behinderten Kindes diskriminiert werden. 
Der EuGH hat bereits im Fall Coleman (EuGH, Urteil vom 17.07.2008 – C-303/06) entschieden, dass nach der Richtlinie bereits eine unmittelbare „Mitdiskriminierung“ wegen einer Behinderung verboten ist, da sie darauf abstellt, in Beschäftigung und Beruf jede Form der Diskriminierung wegen einer Behinderung zu bekämpfen.

Außerdem ist die Richtlinie im Licht des Diskriminierungsverbots, der Wahrung der Rechte der Kinder und des Rechts behinderter Personen auf Eingliederung – jeweils in der Charta der Grundrechte der EU vorgesehen – in Verbindung mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu sehen. Daraus ergibt sich, dass zur Wahrung der Rechte von behinderten Menschen, insbesondere auch Kindern, das allgemeine Diskriminierungsverbot auch die mittelbare „Mitdiskriminierung“ wegen einer Behinderung erfasst, damit auch die Eltern behinderter Kinder in Beschäftigung und Beruf gleichbehandelt und nicht aufgrund der Lage ihrer Kinder benachteiligt werden.
Das bedeutet, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, angemessene Vorkehrungen zu treffen, damit Arbeitnehmende ihren behinderten Kindern die erforderliche Unterstützung zukommen lassen können, sofern dadurch der Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig belastet wird. Dies wird das nationale Gericht nun zu prüfen haben.

Hinweis für die Praxis:

Der der Entscheidung zugrunde liegende Fall spielt zwar in Italien, ist aber ohne Probleme auf Deutschland zu übertragen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Arbeitgeber möglicherweise „mehr“ tun müssen als bisher, um eine Vereinbarkeit von Arbeit und Betreuung behinderter Menschen sicherzustellen.

Die Entscheidung:
Das Gericht erklärte die Klage für zulässig, aber aus rechtlichen Gründen unbegründet. Zwar seien Schwangerschaftsabbrüche nach staatlichem Recht unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbar, dennoch sei die Beklagte als Trägerin eines katholisch geprägten Krankenhauses berechtigt, den Kläger durch Ausübung des Direktionsrechts anzuweisen, während der Arbeitszeit grundsätzlich keine Abbrüche mehr vorzunehmen außer in Fällen akuter Lebensgefahr.

Eine betriebliche Übung liege nicht vor, und auch die Einschränkung der Nebentätigkeit sei zulässig, da Tätigkeiten, die gegen die Grundordnung der katholischen Kirche verstoßen, nicht genehmigungsfähig seien.

Praxishinweise für Betriebsräte:

Das Urteil zeigt wichtige Ansatzpunkte für die Arbeit von Betriebsräten in kirchlichen Einrichtungen.

  • Dienstanweisungen:
    Können Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG auslösen. Betriebsräte sollten stets prüfen, ob sie ordnungsgemäß beteiligt wurden, wenn neue Weisungen eingeführt oder Tätigkeiten untersagt werden.
  • Nebentätigkeiten:
    Einschränkungen sind besonders sensibel. Arbeitgeber müssen diese klar und nachvollziehbar begründen (z. B. mit kirchlichen Vorgaben). Hier ist auf Transparenz zu achten, um die Interessen der Beschäftigten zu schützen.
  • Betriebsübergänge:
    Bei Veränderungen im Trägerumfeld sollten Betriebsräte ihre Informationsrechte nach § 613a BGB und § 111 BetrVG konsequent nutzen, um mögliche Verschlechterungen von Arbeitsbedingungen zu verhindern.
  • Kirchliches Arbeitsrecht:
    Das Spannungsfeld zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Arbeitnehmerrechten erfordert besondere Aufmerksamkeit. Betriebsräte sollten die Belegschaft über die Besonderheiten informieren und bei Konflikten frühzeitig juristischen Rat einholen.
  • Handlungsmaxime:
    Entscheidend sind frühzeitige Einbindung, sorgfältige Prüfung und klare Kommunikation, um Handlungsspielräume von Beschäftigten auch in kirchlich geprägten Einrichtungen bestmöglich zu sichern.

Der Fall:

Die Klägerin war von 2010 bis 2023 als Pflegekraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die AVR-DW-EKD in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung. Im Arbeitsvertrag haben die Parteien den Urlaubsanspruch gesondert geregelt und den Verfall des gesetzlichen Urlaubsanspruchs bei Vorliegen einer Langzeiterkrankung vertraglich ausgeschlossen.

Die Klägerin war von Juli 2015 bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am 30.06.2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Im Juli 2023 forderte die Klägerin Urlaubsabgeltung i. H. v. 16.908 €. Sie meint, der gesetzliche Mindesturlaub, den sie wegen ihrer Krankheit bis Ablauf des Übertragungszeitraums am 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres nicht habe in Anspruch nehmen können, unterliege aufgrund der besonderen Vereinbarung in § 7 Abs. 3 des Arbeitsvertrags keinem Verfall und bestehe auf unbestimmte Zeit fort. Der Arbeitsvertrag enthalte eine gegenüber § 28 Abs. 7 AVR-DD eigenständige Regelung zum Verfall von Urlaub, die diese und die gesetzlichen Bestimmungen zum Urlaubsverfall verdränge.

Der Beklagte meint, die Urlaubsansprüche der Klägerin seien wegen tarifvertraglicher Regelungen spätestens 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres erloschen. Die Regelung im Arbeitsvertrag schließe es nicht aus, die AVR-DD zumindest ergänzend anzuwenden.

 

Die Lösung:

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, LAG und BAG gaben ihr statt.

Der Beklagte hat den gesetzlichen Mindesturlaub der Klägerin aus den Jahren 2016 bis 2021 mit einem Betrag i. H. v. 16.908 € brutto abzugelten.

  • Der Entstehung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindesturlaub stand die vom 31.07.2015 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend anhaltende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht entgegen (EuGH-Urteil vom 04.10.2018 – C-12/17 – [Dicu]; BAG, Urteil vom 05.12.2023 – 9 AZR 364/22).
  • Die Urlaubsansprüche sind auch nicht aufgrund der langandauernden Erkrankung der Klägerin mit Ablauf von 15 Monaten nach Beendigung des jeweiligen Urlaubsjahres erloschen. Denn eine Regelung, die diese Rechtsfolge anordnet, findet auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung, weil die Parteien den Verfall des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG bei Vorliegen einer Langzeiterkrankung wirksam vertraglich ausgeschlossen haben.
  • Die Parteien haben durch die Regelung in § 7 Abs. 3 S. 3 ihres Arbeitsvertrags § 7 Abs. 3 BUrlG verdrängt und einen Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs bei einer Langzeiterkrankung zugunsten der Klägerin ausgeschlossen. Bedienen sich die Kirchen – wie der Beklagte durch eine von den AVR-DW-EKD (nunmehr AVR-DD) abweichende Vertragsgestaltung – jedermann offenstehender privatautonomer Gestaltungsformen, unterliegen sie unter Berücksichtigung ihres Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrechts den zwingenden Vorgaben staatlichen Arbeitsrechts (vgl. BAG, Urteil vom 05.10.2023 – 6 AZR 210/22).

Die Lösung:

Das Arbeitsgericht hat das Beschlussverfahren für unzulässig erklärt und das Verfahren in das Urteilsverfahren übergeleitet. Das LAG hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
Statthafte Verfahrensart ist das Urteilsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG. Alleinentscheidend ist, ob sich der vom Betriebsratsmitglied geltend gemachte Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis oder seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtstellung als Betriebsratsmitglied ergibt (BAG, Beschluss vom 03.12.2020 – 7 AZB 57/20). Ersteres ist eindeutig der Fall. Insbesondere war über den Antrag nicht deshalb im Beschlussverfahren zu unterscheiden, weil sich der Antragsteller als Betriebsratsmitglied zur Begründung seines Antrags auch auf das Behinderungsverbot nach § 78 BetrVG berufen hat (vgl. auch BAG, Beschluss vom 04.12.2013 – 7 ABR 7/12).  
 

Hinweis für die Praxis:

Das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren (§ 2a ArbGG) hat für den antragstellenden Betriebsrat den großen Vorteil,
(1) dass das Arbeitsgericht – anders als im Urteilsverfahren (§ 2 ArbGG) – den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln hat, und

(2) dass der Arbeitgeber – selbst wenn er obsiegt – die Kosten des Verfahrens einschließlich der Anwaltsgebühren für den Anwalt des Arbeitnehmers bzw. Betriebsratsmitglieds zu tragen hat.

Der Versuch des Arbeitnehmers ist aber zurecht gescheitert.

Die Lösung:
Das Arbeitsgericht hat die Einigungsstelle eingesetzt, das LAG hat den Antrag des Betriebsrats wegen offensichtlicher Unzuständigkeit der Einigungsstelle (§ 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG) abgewiesen.

  • Die Einigungsstelle ist für die Festlegung des Ortes, dessen Erreichen oder Verlassen für den Zeitpunkt des Beginns und Endes der Arbeitszeit der Arbeitnehmer maßgebend ist, offensichtlich unzuständig.
  • Die Frage, an welchem Ort die vergütungspflichtige und/oder die arbeitszeitrechtlich relevante Arbeitszeit beginnt und endet, ist eine Rechtsfrage und deshalb der Zuständigkeit der Einigungsstelle offensichtlich entzogen (vgl. BAG, Beschluss vom 28.03.2017 – 1 ABR 25/15).
  • Denn für streitige Rechtsfragen sind die Arbeitsgerichte zuständig und eben nicht die Einigungsstelle. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Arbeitgeber vorgibt, wo die Arbeitnehmer zu Beginn der Arbeit einstempeln und bei Abschluss der Arbeit ausstempeln müssen.

 

Hinweis für die Praxis:

Gemäß § 100 ArbGG hat das Arbeitsgericht die Einigungsstelle einzusetzen (Regelfall), es sei denn, die Einigungsstelle ist – wie hier – offensichtlich unzuständig (Ausnahmefall). Denn den Betriebsparteien soll möglichst schnell eine Möglichkeit gegeben werden, innerbetriebliche Konflikte mit Hilfe der Einigungsstelle zu lösen.

Außerdem: Es bedarf schon erheblicher juristischer Fantasie, längere Wegezeiten der Arbeitnehmer zum Betriebsgelände als vergütungs- und/oder mitbestimmungspflichtige Arbeitszeit zu bewerten. Denn die Arbeitszeit beginnt am Werktor bzw. am Arbeitszeiterfassungsterminal. Wegezeiten, um zum Arbeitsort zu gelangen, sind grundsätzlich Privatsache des Arbeitnehmers.

Die Lösung:

Das Arbeitsgericht hat der Klägerin immateriellen Schadenersatz i. H. v. 4.000 € zugesprochen, LAG und BAG haben die Klage abgewiesen. Die Begründung des BAG:

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO. Die Klägerin hatte bereits keinen Schaden dargelegt (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2024 – 8 AZR 209/21).

  • Auch fehlt es an einem Verstoß gegen die DSGVO sowie
  • an einem Kausalzusammenhang zwischen Schaden und dem Verstoß (vgl. EuGH, Urteil vom 25.01.2024 - C-687/21 – MediaMarktSaturn).
  • Zudem können negative Gefühle (Befürchtungen) zwar einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens begründen. Dies setzt aber voraus, dass das Gefühl unter Berücksichtigung der konkreten Umstände „als begründet angesehen werden kann“ (EuGH 14.12.2023 – C-340/21 – Natsionalna agentsia za prihodite).

Im Ergebnis hat die Klägerin keinen Schaden i. S. v. Art. 82 Abs. 1 DSGVO dargelegt. Sie hatte zwar ihre aus Unkenntnis der Datenverarbeitung resultierenden Befürchtungen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Solche Befürchtungen liegen bei einer nicht oder unvollständig erteilten Auskunft jedoch in der Natur der Sache. Für die Darlegung eines Schadens reicht auch die Hervorhebung besonderer Spannungen mit dem Auskunftsverpflichteten nicht aus.

Hinweis für die Praxis:

Es bleibt aufgrund dieser Entscheidung zu hoffen, dass das Vehikel des Schadensersatzes nach DSGVO nun endgültig begraben wird. Jeder Arbeitnehmende hat das Recht, das Arbeitsverhältnis selbst zu kündigen, wenn ihm/ihr die Arbeitsbedingungen oder das Verhalten des Arbeitgebers nicht gefallen. Daraus noch Kapital zu schlagen, dürfte angesichts der klaren Rechtsprechung des BAG sowie des EuGH aber schwierig werden!

Die Lösung:

Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

  • Die Befristungsabrede ist wirksam. Gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG ist der Arbeitgeber berechtigt, mit einem Arbeitnehmer, der zuvor bei ihm noch nicht als Arbeitnehmer beschäftigt war, einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen und diesen auch mehrfach bis zu einer maximalen Befristungszeit von zwei Jahren zu verlängern. Zudem war der Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrags und der Verlängerungsvereinbarung auch noch nicht Betriebsratsmitglied.
  • Der besondere Kündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern (§ 103 BetrVG, § 15 KSchG) hilft dem Arbeitnehmer nicht, da der Arbeitgeber eben keine Kündigung ausgesprochen, sondern das Arbeitsverhältnis lediglich hat auslaufen lassen.
  • Das BAG hält auch unter Berücksichtigung von europarechtlichen Grundlagen an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. Urteile vom 05.12.2012 (7 AZR 698/11) und 25.06.2014 (7 AZR 847/12), wonach die Wahl eines befristet beschäftigten Arbeitnehmenden in den Betriebsrat grundsätzlich keine Unwirksamkeit der Befristung bedingt.
  • Das einzelne Betriebsratsmitglied ist nämlich durch § 78 S. 2 BetrVG, wonach es in der Ausübung seiner Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden darf, hinreichend geschützt.
  • Es konnte gerade nicht festgestellt werden, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis wegen des Betriebsratsmandats des Arbeitnehmers nicht mehr verlängert oder entfristet hat, den Arbeitnehmer also wegen seines Betriebsratsmandats unzulässig benachteiligt hat.

Hinweis für die Praxis:

Das Ergebnis mag für das Betriebsratsmitglied ernüchternd sein. Es entspricht aber der geltenden Rechtslage sowie der ständigen Rechtsprechung des BAG. Dem Arbeitnehmer ist es nicht gelungen, ausreichend vorzutragen und ggfls. zu beweisen, dass er wegen des Betriebsratsmandats benachteiligt worden ist, d. h. nachzuweisen, dass sein Arbeitsverhältnis ohne das Betriebsratsmandat entfristet worden wäre.

Der Fall:

Der Beklagte (Arbeitnehmer) war seit Oktober 2020 bei der Klägerin (Arbeitgeberin) als „Mitarbeiter im Ärztlichen Dienst“ tätig. Die Klägerin betreibt Krankenhäuser sowie ein Pflegezentrum. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers vom 16.11.2023 zum 31.12.2023. Als Kündigungsgrund gab der Arbeitnehmer Überlastung an. 
Durch eine in Form von AGB abgeschlossene Weiterbildungsvereinbarung haben die Parteien vereinbart, dass der Arbeitnehmer vom 01.10.2020 bis 30.09.2023 an einem berufsbegleitenden Studium „Bachelor Physician Assistance“ teilnehmen sollte. Dieses Studium schloss der Arbeitnehmer erfolgreich ab. In der Vereinbarung war unter § 4 eine Bindungsfrist sowie eine Rückzahlungspflicht geregelt. Danach verpflichte sich der Arbeitnehmer, die vom Arbeitgeber tatsächlich für die Weiterbildung übernommenen Kosten an diesen zurückzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis auf Wunsch des Mitarbeiters oder aus einem von ihm zu vertretenden Grund innerhalb von 36 Monaten nach Beendigung der Weiterbildung beendet wird.

Die Arbeitgeberin verlangte wegen der Eigenkündigung des Arbeitnehmers die Rückzahlung der von ihr übernommenen Fortbildungskosten i. H. v. 29.124 €. Der Arbeitnehmer meint, die Rückzahlungsklausel differenziere nicht ausreichend nach den Beendigungstatbeständen und sei deshalb unangemessen benachteiligend und somit unwirksam.

Die Lösung:

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 17.334 € zu zahlen. Auf die Berufung des Beklagten hat das LAG das Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. 

Der Arbeitgeberin steht gegen den Arbeitnehmer kein Anspruch auf Rückzahlung gem. § 4 Abs. 1 der Weiterbildungsvereinbarung zu. Die Vereinbarung hält einer AGB-Kontrolle nicht stand.

  • Löst eine Klausel die Rückzahlung von Fortbildungskosten aus, wenn das Arbeitsverhältnis „auf Wunsch“ des Arbeitnehmers beendet wird, meint dies die unterschiedslose Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung des Arbeitnehmers.
  • Mit diesem Inhalt ist die Klausel unangemessen benachteiligend i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Angesichts des abstrakt-generellen Prüfungsmaßstabs, der anzulegen ist, ist es für die Beurteilung der Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel unerheblich, ob der Arbeitnehmer im Entscheidungsfall durch personenbedingte Gründe oder aus solchen zur Eigenkündigung veranlasst wurde, die die Arbeitgeberin zu vertreten hat. So missbilligen die gesetzlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Formularklauseln, nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Fall (BAG 01.03.2022 – 9 AZR 260/21; 11.12.2018 – 9 AZR 383/18).
  • Gem. § 306 Abs. 1 BGB führt die Unwirksamkeit der Regelung zum ersatzlosen Wegfall dieser Klausel. Die Weiterbildungsvereinbarung bleibt im Übrigen unberührt und führt dazu, dass der Arbeitnehmer auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch gegen die Arbeitgeberin auf weitere Finanzierung seines Studiums und der Zahlung einer Vergütung während der Praktika hat.

Die Lösung:

Die Klage hatte in allen Instanzen im Wesentlichen Erfolg.

  • Der Kläger hat gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung seines nicht erfüllten gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023.
  • Der Urlaubsanspruch ist nicht durch Ziffer 7 des Prozessvergleichs vom 31.03.2023 erloschen. Die Vereinbarung, Urlaubsansprüche seien in natura gewährt (sog. Tatsachenvergleich), ist gemäß § 134 BGB unwirksam, soweit sie einen nach § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs regelt. Weder der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub noch ein erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehender Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs darf im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. Dies gilt selbst dann, wenn bei Abschluss eines gerichtlichen Beendigungsvergleichs bereits feststeht, dass der AN den gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann.
  • Der bezahlte Mindesturlaub darf nach bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Im bestehenden Arbeitsverhältnis darf der AN somit nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“.
  • Ziffer 7 des Prozessvergleichs enthält keinen Tatsachenvergleich, auf den § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG nicht anzuwenden wäre. Ein solcher setzt voraus, dass eine bestehende Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden soll. Angesichts der seit Anfang des Jahres 2023 durchgehend bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestand kein Raum für eine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs.
  • Der Einwand der Beklagten, dem Kläger sei es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit des Anspruchsausschlusses zu berufen, blieb erfolglos. Die Beklagte durfte nicht auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung vertrauen.

Hinweis für die Praxis: Jedenfalls vor Beendigung eines Arbeitsverhältnisses können die Parteien keine wirksamen Verzichtsregelungen zum Mindesturlaubsanspruch nach dem BUrlG treffen. Ob dies nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich ist, hatte das BAG nicht zu entscheiden.