Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen

Von: Sina Baumeister, Dipl.-Pädagogin, Poko-Fachbereich Gesundheit

So gehen Sie vor


Laut Psychreport 2023 der DAK Gesundheit erreichte der Arbeitsausfall aufgrund von psychischen Erkrankungen mit 301 Fehltagen je 100 Versicherten im Jahr 2022 einen neuen Höchststand. Dabei sind Depressionen der wichtigste Krankschreibungsgrund, gefolgt von Belastungs- und Anpassungsstörungen. Auffällig ist zudem die besonders große Zunahme von Krankschreibungen bei jungen Berufstätigen zwischen 24 und 29 Jahren. 


Welche Konsequenzen können wir aus diesen Zahlen ziehen?


Nicht nur aus menschlicher, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht müssen wir der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz mehr Beachtung schenken. Obwohl die Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung im § 5 Abs. 3 Satz 6 ArbSchG seit 2013 gesetzlich vorgeschrieben ist, wird sie in vielen Betrieben allerdings noch immer nicht oder nicht komplett umgesetzt.


Das sollten wir ändern!


Dass der Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung (psychischer Belastungen) durchzuführen hat, ist im Gesetz vorgeschrieben. Wie er dabei vorgehen soll, ist nicht genauer definiert. Bei der Wahl der konkreten Vorgehensweisen und Methoden hat der Gesetzgeber dem Arbeitgeber also einen großen Spielraum eingeräumt. 

Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 7 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung. 

Welchen psychischen Belastungen können wir bei der Arbeit ausgesetzt sein?


Psychische Belastungen am Arbeitsplatz entstehen vor allem durch:
•    Zeit- und Termindruck
•    Ein hohes Arbeitspensum
•    Permanente Erreichbarkeit
•    Arbeitsunterbrechungen und „Multitasking“
•    Ungünstiges Führungsverhalten


Mögliche Fehlbeanspruchungen als Resultat dieser Belastungen wären z. B. Stress, Ermüdung oder Abnahme der Leistungsfähigkeit. 
Um festzustellen, ob eine psychische Belastung als Gefährdung einzustufen ist, weil ein Gesundheitsschaden als möglich erscheint, durchläuft man im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung einen Prozess, der in der Regel wie folgt aussieht:

 

Gefährdungsbeurteilung

1.    Tätigkeiten und Bereiche festlegen


Zunächst werden Tätigkeiten, Bereiche oder Arbeitsplätze hinsichtlich möglicher Belastungen analysiert. Es wird also geschaut, welche Faktoren an diesem speziellen Arbeitsplatz auf den Menschen einwirken. Dabei können diejenigen Bereiche, die in Bezug auf die Belastung als gleichartige anzusehen sind, auch zusammengefasst werden. Nehmen wir also an, wir haben in einem Call-Center ein Großraumbüro, dann muss nicht jeder einzelne Arbeitsplatz erfasst werden. Allerdings ist genau zu prüfen, ob sich scheinbar gleiche Arbeitsplätze nicht doch unterscheiden, z. B. durch Sonneneinstrahlung o. ä. Achten Sie also darauf, wesentliche Belastungen nicht zu vernachlässigen, weil Sie versehentlich zu grob strukturiert haben. 


2.    Psychische Belastungen ermitteln


Das heißt es sollen mögliche Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit sowie deren Entstehungsbedingungen identifiziert werden. 
Dabei ist es grundsätzlich empfehlenswert, Führungskräfte und Beschäftigte in die Ermittlung und die darauffolgende Beurteilung einzubinden. So steigt nicht nur die Akzeptanz auf allen Seiten, sondern auch die Erfolgswahrscheinlichkeit der getroffenen Maßnahmen.
Berücksichtigen Sie bei der Ermittlung der psychischen Belastungen folgende Bereiche:
•    Arbeitsinhalt bzw. Arbeitsaufgabe, wie z. B. inhaltlich überfordernde Tätigkeiten
•    Arbeitsorganisation, z. B. Zeitdruck oder mangelnde Abstimmung zwischen einzelnen Abteilungen
•    Soziale Beziehungen am Arbeitsplatz, z. B. Konflikte oder fehlende Unterstützung
•    Arbeitsumgebung, z. B. Lärm oder auch schwere körperliche Arbeit


Mögliche Instrumente zur Ermittlung psychischer Belastungen sind z. B. schriftliche Mitarbeiterbefragungen, Analyseworkshops oder Beobachtungsverfahren. Meist ist eine Kombination aus Befragung und Workshop oder Beobachtung und Workshop sinnvoll. Denn nur im Dialog mit den Beschäftigten können die Belastungen tatsächlich konkret identifiziert werden. 


3.    Belastung beurteilen


Bei der Beurteilung der beobachteten psychischen Belastungen ist die Frage zu stellen, ob diese als Gefährdung einzustufen ist. Erscheint also ein Gesundheitsschaden aufgrund der beobachteten psychischen Belastung als wahrscheinlich? Wenn ja, werden Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich.


4.    Maßnahmen entwickeln und durchführen


Bei der Entwicklung und Durchführung solcher Maßnahmen gilt das allgemeine T-O-P Prinzip des Arbeitsschutzes als Rangfolge:
T – Technische Maßnahmen
O – Organisatorische Maßnahmen
P – Persönliche Maßnahmen 


5.    Wirksamkeit prüfen


Es ist grundlegend wichtig, die getroffenen Maßnahmen auch auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen! Misserfolge gehören dazu. Wenn die Maßnahmen also noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben, werfen Sie nicht die Flinte ins Korn. Prüfen Sie alle Gegebenheiten erneut und probieren Sie andere Maßnahmen aus. Veränderung braucht Zeit. Manche Dinge können nicht von heute auf morgen verändert werden. Bleiben Sie also dran!


6.    Aktualisieren, dokumentieren, fortschreiben


Und so ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen ein fortlaufender Prozess. Wenn sich die zugrundeliegenden Gegebenheiten ändern, sind Gefährdungsbeurteilungen zu aktualisieren.

Bezüglich der Form der Dokumentation bestehen keine Vorgaben. Es empfiehlt sich jedoch, folgende Aspekte schriftlich festzuhalten:
•    Beurteilung der Gefährdungen
•    Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen inklusive Termine und Verantwortliche
•    Welche Maßnahmen wurden wann umgesetzt?
•    Wann und mit welchem Ergebnis wurde die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüft?
•    Und das Datum der Erstellung bzw. der Aktualisierung

Vertiefende Informationen zum Thema erhalten Sie in unserem Seminar „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen im Betrieb“.