von Rechtsanwalt und Diplom-Psychologe Hans Peter Schneider
„Körperliche Erkrankungen kann ich verstehen und mitfühlend reagieren, aber psychische Erkrankungen sind etwas völlig anderes!“ Solche oder ähnliche Sätze äußern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer häufig zu Beginn einer Fortbildung zum Umgang mit psychischen Erkrankungen im Unternehmen. Sie zeigen, dass psychische Störungen immer noch zu den herausforderndsten Themen im Betrieblichen Eingliederungsmanagement gehören, obwohl allseits bekannt ist, dass sie, wenn nicht bereits jetzt, so doch in absehbarer Zukunft, einen wesentlichen Anteil an den BEM-Verfahren und ihren Gesprächen ausmachen werden. Welche Leitlinien brauchen BEM-Beratende, um betroffene Kolleginnen und Kollegen angemessen zu unterstützen und sinnvoll einzugliedern zu können?
Wichtig ist es zunächst zu verstehen, dass psychische Erkrankungen nur vordergründig anders sind als körperliche Erkrankungen. Psychische Erkrankungen beruhen oft auf den gleichen stressbehafteten Prozessen wie körperliche Erkrankungen. Bei den im Unternehmen am häufigsten anzutreffenden Angststörungen oder depressiven Erkrankungen ist dies auch ohne weiteres einsichtig. Unsere biologische Grundausstattung benutzt bereits seit Jahrmillionen „Gefühle“ wie Angst und Trauer als ein Gefahrensignal, um uns vor belastenden Situationen zu warnen. Können wir keine kurzfristigen Lösungen finden, so kommt es zu Beanspruchungen, die sich gleichermaßen körperlich wie psychisch als Störungen „normaler“ Körper- und Denkprozesse auswirken können.
Unter psychischen Verarbeitungsstörungen leiden die Betroffenen selbst oft am meisten. Im BEM-Gespräch geht es daher entscheidend darum, diese aktuellen Belastungen mit Zeit und Geduld wahrzunehmen, anzusprechen und anzuerkennen. Dabei ist es meist gar nicht nötig ihre Entstehung, derzeitige Ausprägung oder medizinische Diagnose nachzuvollziehen. Der erlebte emotionale Druck kann häufig bereits dadurch verringert werden, dass Berater:innen zuhören, und sich aufrichtig für die bestehenden Belastungen interessieren.
In einem nächsten Schritt kann dann gemeinsam überlegt werden, ob und in welchen ausgleichenden und störungsangepassten Arbeitsumgebungen ein Einsatz möglich sein kann. Die stufenweise Wiedereingliederung ist dabei ein wichtiges Mittel der Wahl. Darüber hinaus ist es besonders wichtig, das gesamte Umfeld der Betroffenen zu aktivieren und zu sensibilisieren, um eine fortlaufende Begleitung und Unterstützung durch alle Unternehmensangehörigen zu gewährleisten. Dies schließt insbesondere auch die unmittelbaren Führungskräfte mit ein, die eine (vorübergehende) verringerte Leistungsfähigkeit der Betroffenen thematisieren und so einer Ausgrenzung vorbeugen können.
Spezielle Empfehlungen für einen konkreten Umgang mit psychischen Störungen werden in den einzelnen Seminaren und Symposien vermittelt. Dort wird es auch um den besonderen Umgang mit Abhängigkeitserkrankungen, insbesondere Alkoholismus, und der sinnvollen Verbindung von BEM mit den in vielen Unternehmen bestehenden Suchtinterventionsplänen gehen.