Kurzarbeit und trotzdem volles Entgelt?

 

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Eine Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit muss die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten so deutlich regeln, dass diese für die Arbeitnehmer zuverlässig zu erkennen sind. Erforderlich sind mindestens die Bestimmung von Beginn und Dauer der Kurzarbeit, die Regelung der Lage und Verteilung der Arbeitszeit sowie die Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer. Hat der Arbeitgeber durch unwirksame Einteilung eines Arbeitnehmers zur Kurzarbeit erklärt, in diesem Zeitraum keine weiteren Arbeitsleistungen anzunehmen, genügt ein wörtliches Angebot bzw. ein Protest des Arbeitnehmers, um den Arbeitgeber in Annahmeverzug zu versetzen.

BAG, Urteil vom 18. November 2015 - 5 AZR 491/14

Der Fall:

Der Kläger verlangt von der Arbeitgeberin Vergütung für Zeiten der angeordneten Kurzarbeit (385 Stunden) abzüglich gewährten Kurzarbeitergeldes.

Arbeitgeberin und Betriebsrat schlossen am 07.03.2011 eine Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit, in der es unter anderem heißt: "In der Zeit vom 11.03.2011 bis zum 31.12.2011 wird Kurzarbeit im ganzen Betrieb eingeführt. Die Kurzarbeit erfolgt flexibel und wird an den Arbeitsanfall in den jeweiligen Arbeitsbereichen angepasst. Die Planung erfolgt in den Abteilungen mit dem Vorgesetzten. Die Kurzarbeitertage der Mitarbeiter werden von den Vorgesetzten in die Urlaubsplanungsdatei mindestens eine Woche im Voraus eingetragen, sodass Geschäftsleitung und Betriebsrat zeitnah Einsicht nehmen können."

In der Zeit vom 11.03.-31.12.2011 ordnete die Arbeitgeberin für den Kläger Kurzarbeit für 385 Arbeitsstunden an. Mit Schreiben vom 18.10.2011 bot der Kläger seine Arbeitsleistung erstmals gegenüber der Arbeitgeberin ausdrücklich "voll umfänglich per sofort" an.

Die Lösung:

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das LAG hat sie für Kurzarbeitsstunden bis zum 17.10.2011 abgewiesen und ihr im Übrigen stattgegeben. Die Revisionen beider Parteien hatten beim BAG keinen Erfolg.

  • Für die Zeit ab dem 18.10.2011 hat der Kläger Anspruch auf Arbeitsvergütung. Die Beklagte befand sich im Annahmeverzug, da der Kläger die Arbeitsleistung ausdrücklich wörtlich bzw. schriftlich angeboten hat. Die Anordnung von Kurzarbeit war unwirksam, da die Betriebsvereinbarung mangels ausreichender Konkretisierung unwirksam war. Zwar kann aufgrund einer Betriebsvereinbarung verbindlich und wirksam Kurzarbeit angeordnet werden. Dies setzt voraus, dass sich aus der Betriebsvereinbarung deutlich und für den Arbeitnehmer zuverlässig ergibt, wann für ihn Kurzarbeit vorgesehen ist. Es müssen in der Betriebsvereinbarung mindestens die Bestimmung von Beginn und Dauer der Kurzarbeit, die Regelung der Lage und Verteilung der Arbeitszeit sowie die Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer enthalten sein. Auch ergibt sich aus der Betriebsvereinbarung, dass der Arbeitgeber selbst darüber zu entscheiden hat, welche Arbeitnehmer wann Kurzarbeit leisten sollen. Dies ist nicht zulässig.
       
  • Für die Zeit bis zum 17.10.2011 hat der Kläger keinen Anspruch auf weitere Arbeitsvergütung. Die Beklagte befand sich nicht im Annahmeverzug, weil der Kläger die Arbeitsleistung nicht - zumindest - wörtlich angeboten hat. Er hätte zumindest gegen die Anordnung der Kurzarbeit protestieren und damit seine Arbeitsleistung wörtlich anbieten müssen.

Hinweis für die Praxis:

Die Entscheidung des BAG ist in doppelter Hinsicht wichtig.

  • Zum Einen bedeutet sie, dass die meisten Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit unwirksam sind, weil lediglich ein "Rahmen" geregelt wird, der aber nicht ausreichend ist, um wirksam Kurzarbeit anordnen zu können.

Tipp:

Die Betriebsparteien schließen eine Rahmenbetriebsvereinbarung zur Kurzarbeit wie in dem vom BAG entschiedenen Fall. Anschließend werden je nach Bedarf wöchentlich oder monatlich weitere Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, die die konkrete Kurzarbeit, bezogen auf die Abteilungen und Arbeitnehmer regeln.

  • Darüber hinaus setzt das BAG seine bisherige Rechtsprechung fort, dass der Arbeitnehmer, wenn er nicht gegen eine Anweisung des Arbeitgebers „protestiert“ oder seine Arbeitsleistung jedenfalls schriftlich oder mündlich anbietet, keine Ansprüche auf Annahmeverzugslohn hat, selbst wenn der Arbeitgeber deutlich zum Ausdruck bringt, den Arbeitnehmer nicht entsprechend beschäftigen zu wollen (so bereits vom BAG entschieden zur rechtsunwirksamen Anordnung von Pausen durch den Arbeitgeber).
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