Anreisezeit bei Rufbereitschaft im Krankenhaus – Einigungsstellenspruch

LAG Berlin, Beschluss vom 23.06.2023 - 12 TaBV 638/22

Der Fall:
Die Arbeitgeberin betreibt ein Krankenhaus. Der Betriebsrat verlangt von der Arbeitgeberin, es zu unterlassen, für bestimmte Rufbereitschaftsdienste von Fachärzten abweichend zur durch Spruch der Einigungsstelle zustande gekommenen Betriebsvereinbarung eine Höchstzeit zwischen Abruf und Verfügbarkeit am Patienten von maximal 30 Minuten vorzugeben (sog. „Anrückzeit“).

Die Lösung:
Das Arbeitsgericht hat den Unterlassungsantrag abgewiesen; das LAG gab ihm statt. Die Arbeitgeberin hat es zu unterlassen, die Anweisung zu erteilen, bestimmte über die Betriebsvereinbarung hinausgehenden „Anrückzeiten“ anzuordnen. Der Anspruch des Betriebsrats ergibt sich als „Durchführungsanspruch“ aus der rechtskräftig als wirksam festgestellten Regelung zur angemessenen Anrückzeit aus der „Betriebsvereinbarung Arbeitszeit Ärzte“.

  • Weist das Arbeitsgericht den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs rechtskräftig zurück, steht damit endgültig fest, dass der Spruch wirksam ist.  
  • Dies gilt auch dann, wenn der Einigungsstellenspruch aus rechtlichen Gründen tatsächlich fehlerhaft ist. Hiervon abweichende Anweisungen darf die Arbeitgeberin nicht erteilen und dementsprechend auch keine von der Betriebsvereinbarung abweichenden Anrückzeiten einseitig anweisen.
  • Damit hat der Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber Anspruch auf Durchführung und Beachtung der durch Einigungsstellenspruch zustande gekommenen Betriebsvereinbarung. Diese hat der Arbeitgeber zu beachten (§ 77 Abs. 4 BetrVG), solange sie gilt.

 

Hinweis für die Praxis:

Es ist erstaunlich, mit welchen Sachverhalten sich die Arbeitsgerichte „herumschlagen“ müssen. Das Vorgehen des Arbeitgebers ist weder rechtlich noch tatsächlich nachvollziehbar oder vernünftig.

  • Wenn einer Betriebspartei die durch Spruch der Einigungsstelle zustande gekommene Betriebsvereinbarung „nicht gefällt“ oder sie sich in der Praxis nicht bewährt hat, kann sie die Betriebsvereinbarung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von i. d. R. drei Monaten kündigen (§ 77 Abs. 5 BetrVG).
  • Dann muss – notfalls in der Einigungsstelle mit einem anderen Vorsitzenden als zuvor – eine neue Regelung vereinbart werden bzw. durch Spruch zustande kommen.
  • Das geht „schneller“ und ist wesentlich „effektiver“ als über die Auslegung oder Wirksamkeit von Betriebsvereinbarungen beim Arbeits- und später Landesarbeitsgericht zu streiten.