Eine Besserstellung von Betriebsratsmitgliedern wegen ihres Mandates ist verboten und kann auch bestraft werden!

BAG Erfurt, Urteil vom 08.11.2017 - 5 AZR 11/17, 7 AZR 206/17, 7 AZR 829/16, Sa 2297/18, 7 Sa 997/19, 16 KLs 406 Js 59398/16

Worum geht es?

§ 37 Absatz 1 BetrVG bestimmt, dass die Mitglieder des Betriebsrats ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt führen. Leisten sie während der Arbeitszeit erforderliche BR-Arbeit, sind sie insoweit von ihrer beruflichen Tätigkeit bei Fortzahlung der Vergütung freizustellen (§ 37 Absatz 2 BetrVG).

  • Das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des BR darf nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer*innen mit „betriebsüblicher Entwicklung“ (§ 37 Absatz 4 BetrVG).
  • Mitglieder des BR dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden (§ 78 Satz 2 BetrVG). § 78 Satz 2 BetrVG soll nicht allein die Gewährung von Begünstigungen verhindern, sondern auch deren Entgegennahme durch das BR-Mitglied und die betreffende Vermögensverschiebung unterbinden.
  • Die Bestimmung schützt damit nicht allein die BR-Mitglieder als Personen, sondern auch den BR als Organ und dessen Funktionsfähigkeit sowie das Interesse der vertretenen Arbeitnehmer*innen an einer durch Begünstigungen nicht beeinflussten Amtsausübung durch die sie vertretenden BR-Mitglieder.

Das bedeutet: Ein Produktionsmitarbeiter, der nach Tarif als solcher vergütet wird, hat auch dann, wenn er zum freigestellten BR-Vorsitzenden eines großen „Dax Konzerns“ (hier VW) bestellt worden ist, nur Anspruch auf die Vergütung, die er erhalten hätte, wäre er weiter Produktionsmitarbeiter geblieben. Die - anspruchsvolle - Tätigkeit eines freigestellten BR-Mitglieds etwa in einem Dax-Konzern führt nicht dazu, dass es nun Anspruch auf Vergütung vergleichbar mit einem „Manager“ hat. Verstoßen BR-Mitglied und Arbeitgeber dagegen, ist dies in doppelter Hinsicht relevant:

  • Der Arbeitgeber kann zu Unrecht gewährte Leistungen aus der Vergangenheit zurückverlangen und ist nicht verpflichtet, solche Leistungen weiterhin zu erbringen (vgl. statt aller BAG, Urteile vom 8.11.2017 - 5 AZR 11/17, 29.8.2018 - 7 AZR 206/17, 26.9.2018 -7 AZR 829/16, LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.10.2019 - 17 Sa 2297/18, LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.02.2020 -7 Sa 997/19). Denn beiden Parteien musste klar sein, dass ihre Vertragsgestaltung gegen zwingendes Betriebsverfassungsrecht verstößt.
  • Das Verhalten von BR-Mitglied und Arbeitgeber kann auch strafbar sein. Das LG Braunschweig hat mit Urteil vom 28.09.2021 – 16 KLs 406 Js 59398/16 einen solchen Fall geprüft. Angeklagt waren hochrangige Manager eines deutschen Automobilherstellers (VW) wegen des Tatbestands der Untreue. Ihnen wurde vorgeworfen, rechtswidrig überhöhte Vergütung an freigestellte BR-Mitglieder gezahlt zu haben. Das LG hat klare Worte geäußert: Eine Bezahlung von Betriebsräten als „Co-Manager“ oder „auf Augenhöhe“ mit den Verhandlungspartnern auf AG-Seite ist unzulässig und mit dem BetrVG nicht vereinbar. Sonderkarrieren als BR dürfen ebenso wenig zugrunde gelegt werden wie die Fähigkeiten und Kenntnisse, die das BR-Mitglied während seiner Zeit im Gremium erwirbt. Die angeklagten VW Manager sind zwar vom Landgericht „freigesprochen worden“, allerdings nicht deshalb, weil sie keinen Straftatbestand verwirklicht hätten, sondern allein deshalb, weil in einem ähnlichen Fall die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht weiter betrieben hat und deshalb ein „Vertrauenstatbestand“ („Tatbestandsirrtum“) entstanden sein soll, wonach das Verhalten nicht strafbar sein soll.
  • DAZU: BGH, Urteile vom 10.1.2023 -6 StR 133/22 u.a.: Der 6. Strafsenat des BGH hat am 10. Januar 2023 auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft die Freisprüche vom 28. September 2021 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des LG zurückverwiesen. Der Senat geht davon aus, dass der Volkswagen AG ein Schaden von mehr als 4,5 Millionen Euro entstanden ist. Nach Ansicht des LG haben die Angeklagten durch die Umstufung der Betriebsräte in deutlich höhere, dem "Managementkreis" vorbehaltene Entgeltgruppen und die Gewährung freiwilliger Bonuszahlungen von jährlich 80.000 Euro bis 560.000 Euro je Betriebsrat den objektiven Tatbestand einer Untreue erfüllt. Der Senat folgt nicht der Meinung des LG, wonach den Angeklagten der erforderliche Vorsatz gefehlt habe, weil sie sich auf die Einschätzungen interner und externer Berater verlassen beziehungsweise ein bestehendes Vergütungssystem vorgefunden und irrtümlich angenommen hätten, mit ihren jeweiligen bewilligenden Entscheidungen keine Pflichten zu verletzen.
    Zwar ist das LG im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass der objektive Tatbestand einer Untreue nach § 266 Abs. 1 Strafgesetzbuch erfüllt sein kann, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer AG unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot einem Mitglied des BR ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt. Die vom LG hierzu getroffenen Urteilsfeststellungen genügen aber nicht den gesetzlichen Darstellungsanforderungen. Der Senat vermag daher nicht zu beurteilen, ob die Bewilligung der monatlichen Entgelte und Bonuszahlungen den betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht und ob das Landgericht auf zutreffender Grundlage einen Vorsatz der Angeklagten verneint hat. So ist dem Urteil insbesondere nicht zu entnehmen, nach welchem System die Vergütung von Angestellten der Volkswagen AG generell geregelt war, welche Kriterien für die Einordnung in "Kostenstellen" und "Entgeltgruppen" galten, nach welchen Regeln ein Aufstieg in höhere "Entgeltgruppen" sowie in die verschiedenen "Managementkreise" vorgesehen war und welche Maßstäbe den Entscheidungen über die Gewährung von Bonuszahlungen sowie über deren Höhe zugrunde lagen.

 

Nun wird sich eine andere Strafkammer des Landgerichts erneut - unter Beachtung der Rechtsauffassung des BGH - mit den Fällen beschäftigen müssen. Ich denke, man muss kein Prophet sein, um zu vermuten, dass am Ende der Verfahren Verurteilungen stehen.