Azubi-Markt in der Krise: Wie die Jugend- und Auszubildendenvertretung aktiv werden kann

Die duale Ausbildung steckt in einer tiefen Krise. Während Unternehmen händeringend nach Nachwuchskräften suchen, finden viele junge Menschen keinen passenden Ausbildungsplatz. Eine aktuelle Studie beleuchtet Ursachen und mögliche Lösungen – und macht deutlich, wie entscheidend die Rolle der Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) in dieser Situation ist.

Mehr Bewerber*innen, aber auch mehr unbesetzte Stellen

Nach Jahren sinkender Bewerberzahlen gab es 2023 erstmals wieder einen leichten Aufwärtstrend: Rund 17.000 junge Menschen mehr als im Vorjahr suchten einen Ausbildungsplatz. Dennoch blieben etwa 73.000 Stellen unbesetzt – während gleichzeitig 63.700 Bewerber*innen bis Ende September ohne Ausbildungsplatz dastanden.

Dieses Ungleichgewicht zeigt, dass Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt nicht optimal zusammenpassen. Das Problem ist nicht nur ein Mangel an Interessent*innen, sondern auch strukturelle Passungsprobleme: In bestimmten Branchen gibt es zu wenige Bewerber*innen, während in anderen mehr Jugendliche eine Ausbildung beginnen möchten, als es Stellen gibt. Zudem spielt die geografische Verteilung eine Rolle: Ausbildungsplätze sind oft nicht dort verfügbar, wo sie gebraucht werden.

Für Jugend- und Auszubildendenvertretungen bedeutet das: Sie sollten sich verstärkt dafür einsetzen, dass Unternehmen flexibler auf die Bedürfnisse von Azubis eingehen – sei es durch mehr Mobilitätsangebote, wohnortnahe Ausbildungsmöglichkeiten oder eine gezieltere Berufsorientierung.

Orientierungslosigkeit: Viele Jugendliche wissen nicht, welchen Weg sie einschlagen sollen

Ein großes Problem bleibt die mangelnde Berufsorientierung. Die „Azubi-Recruiting Trends“-Studie des Beratungsunternehmens u-Form Testsysteme zeigt, dass rund ein Drittel der Schüler*innen keine klare Vorstellung davon hat, welche beruflichen Möglichkeiten sie haben und wie sie sich nach dem Schulabschluss weiterentwickeln können.

Hier müssen Unternehmen, Schulen und auch die JAV aktiv werden. Praktikumsangebote, Betriebsbesichtigungen und gezielte Beratungsgespräche können helfen, junge Menschen besser auf ihre berufliche Zukunft vorzubereiten. Digitale Plattformen, auf denen Azubis ihre Erfahrungen teilen, könnten ebenfalls eine sinnvolle Ergänzung sein.

Ein weiteres Problem: Viele Ausbildungsberufe haben nach wie vor ein schlechtes Image. Handwerkliche Berufe, Pflegeberufe oder Ausbildungsberufe im Einzelhandel werden oft als wenig attraktiv wahrgenommen – nicht zuletzt wegen der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung. Eine Aufgabe der JAV kann es sein, in Gesprächen mit Unternehmensleitungen Verbesserungen in diesen Bereichen einzufordern.

Neue Wege: Die Grundlagenausbildung als Chance

Ein vielversprechender neuer Ansatz ist die sogenannte Grundlagenausbildung. Dabei starten Azubis nicht direkt in einen festen Beruf, sondern durchlaufen in den ersten sechs Monaten verschiedene Abteilungen eines Unternehmens, bevor sie sich endgültig für einen Beruf entscheiden.

Dieses Modell könnte gleich mehrere Probleme lösen:

  • Bessere Berufsfindung: Junge Menschen können sich praktisch ausprobieren, bevor sie sich festlegen.
  • Weniger Ausbildungsabbrüche: Wenn Azubis eine fundierte Entscheidung treffen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie ihre Ausbildung abschließen.
  • Mehr Flexibilität für Unternehmen: Sie können Azubis gezielter in Bereichen einsetzen, in denen sie gebraucht werden.

Laut der Studie begrüßen 87 % der befragten Jugendlichen dieses Modell – ein klares Zeichen dafür, dass Unternehmen solche innovativen Konzepte verstärkt in ihre Ausbildungsstrategie integrieren sollten.

Praxisbeispiel: Mehr Verantwortung für Azubis führt zu Erfolg

Dass neue Ausbildungsmodelle funktionieren können, zeigt ein Beispiel aus Dortmund. Ein städtisches Seniorenheim hat dort eine Station eingerichtet, die vollständig von Auszubildenden geleitet wird. Die Azubis sind für alle organisatorischen und pflegerischen Aufgaben verantwortlich – von der Dienstplanung über die Medikamentengabe bis hin zur Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner.

Natürlich werden sie dabei nicht allein gelassen: Erfahrene Praxisanleiter*innen stehen unterstützend zur Seite. Das Konzept hat sich als voller Erfolg erwiesen: Die Zahl der Azubi-Bewerbungen ist um 79 % gestiegen, weil die Jugendlichen hier echte Verantwortung übernehmen können und sich ernst genommen fühlen.

Solche Modelle könnten in vielen Branchen adaptiert werden – sei es in der Gastronomie, im Handwerk oder in der Industrie. Unternehmen sollten mehr Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Azubis setzen und ihnen echte Gestaltungsspielräume bieten.

Was kann die JAV tun?

Für Jugend- und Auszubildendenvertretungen ergeben sich aus diesen Entwicklungen mehrere Handlungsfelder:

  1. Bessere Berufsorientierung einfordern: Unternehmen und Schulen sollten gezieltere Informations- und Beratungsangebote schaffen.
  2. Innovative Ausbildungsmodelle fördern: Die JAV kann sich für Konzepte wie die Grundlagenausbildung oder Azubi-geführte Projekte starkmachen.
  3. Attraktivität der Ausbildung steigern: Gemeinsam mit Unternehmen sollten Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Bezahlung und Entwicklungsmöglichkeiten erarbeitet werden.
  4. Passungsprobleme verringern: Unternehmen müssen flexibler auf die Bedürfnisse von Azubis eingehen, beispielsweise durch Mobilitätsangebote oder Kooperationen mit anderen Betrieben.

📢 Macht euch stark für eine bessere Ausbildung! Die duale Ausbildung hat enormes Potenzial, aber sie muss sich weiterentwickeln. Die JAV kann hier eine entscheidende Rolle spielen – als Sprachrohr für Azubis, als Ideengeber für Unternehmen und als Brückenbauer zwischen den verschiedenen Akteuren auf dem Ausbildungsmarkt.