Neues zur „Scheinselbständigkeit“

Arbeitnehmer sind „abhängig“ beschäftigt und unterliegen dem „Direktionsrecht“ des Arbeitgebers. Anders als Selbständige genießen Arbeitnehmer Arbeitnehmerschutz (Kündigungsschutz, Mutterschutz, Recht, Elternzeit zu verlangen etc.). Darüber hinaus unterliegen sie der Sozialversicherungspflicht (Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung). Scheinbar haben die Sozialversicherungsträger in der Vergangenheit verstärkt „Betriebsprüfungen“ vorgenommen, um festzustellen, ob „selbständig“ tätige Personen tatsächlich Selbständige im Sinne des Sozialrechts oder „abhängig Beschäftigte“ bzw. Arbeitnehmer im Sinne des Arbeits- und Sozialrechts sind. Dazu folgende aktuelle Entscheidungen der Sozialgerichtsbarkeit:

 

a. LSG Berlin-Potsdam Urteil vom 13.07.2022 - L 4 BA 82/19

Personal Trainer - Fitnessstudio -

Für die Prüfung, ob neben Sozialversicherungsbeiträgen auch Umlagebeiträge abzuführen sind, ist nicht auf den Beschäftigtenbegriff des § 7 SGB IV, sondern auf den arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff abzustellen (Anschluss an BSG, Urteile  vom 26.9.2017 - B 1 KR 31/16 R und 3.11.2021 - B 11 AL 4/20 R sowie LSG Berlin-Potsdam, Urteil vom 23.6.2022 - L 4 BA 52/18).

Eine Personal Trainerin, die auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages mit dem Inhaber eines Fitnessstudios zu einem festen Stundensatz aus den Mitgliedern des Fitnessstudios einen eigenen Kundenstamm zu akquirieren und individuell zu betreuen hat, ohne dass sie diesen gegenüber Leistungen in Rechnung stellen kann, ist sowohl abhängig beschäftigt als auch Arbeitnehmerin des Fitnessstudios.

 

b.) LSG Darmstadt Urteil vom 29.09.2022 - L 8 BA 65/21

Pilot ohne eigenes Flugzeug

Ein Pilot, der nicht über ein eigenes Flugzeug verfügt und dessen Tätigkeit nach Übernahme eines Flugauftrags sich von einem angestellten Flugzeugführer nicht wesentlich unterscheidet, ist abhängig beschäftigt.

Das Direktionsrecht des Arbeitgebers kann außer durch Einzelanweisungen während des Auftrags auch durch vorab in einem Rahmendienstvertrag getroffene generelle Festlegungen ausgeübt werden.

 

c. LSG Berlin-Potsdam, Urteil vom 15.06.2022 - L 9 BA 44/20

Zum Notarzt im Rettungsdienst

Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Ist ein Notarzt im Rettungsdienst in die Organisation seines Auftraggebers eingegliedert und an dessen Weisungen gebunden, sind Arbeitsort- und zeit vorgegeben, erfolgt die Vergütung nach einem vereinbarten Stundenlohn und einer Einsatzpauschale, hat er ein unternehmerisches Risiko nicht zu tragen und sind die Leistungen von ihm persönlich zu erbringen, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.