Die Vorfälle in Amerika und das übergriffige Verhalten eines mächtigen Filmproduzenten haben erneut eine Diskussionswelle in der Presse und im Netz (1) über das Thema sexuelle Belästigung in Gang gebracht, wie bereits im Jahre 2014 nach den Äußerungen eines deutschen Politikers gegenüber einer Journalistin heftig diskutiert wurde (2). Immer geht es um die selbstverständliche verbale oder auch körperliche Übergriffigkeit, der sich Frauen im Alltagsleben und eben auch am Arbeitsplatz ausgesetzt sehen. Diese Übergriffigkeit gehört offensichtlich zur Struktur unseres gesellschaftlich gelebten Geschlechterverhältnisses, denn sonst wären die Erfahrungen, die Frauen damit machen, nicht in der Häufigkeit abgebildet, in der sie jetzt öffentlich werden.
Lange ist das Thema "sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz" tabuisiert oder als "Nischenthema" spaßbefreiter Feministinnen behandelt worden, obwohl in Untersuchungen immer wieder darauf hingewiesen wurde, welche Relevanz es für die chancengleiche Teilnahme von Frauen im Arbeitsleben hat (3). Die Betroffenenstruktur belegt eindeutig, dass Frauen die weitaus größte Gruppe der Opfer dieses Verhaltens sind und nur ausnahmsweise auch Männer davon betroffen werden. In diesem Fall geht das Verhalten dann aber meistens nicht von Frauen aus, sondern von anderen Männern (4).
Mit Inkrafttreten des sogenannten "Beschäftigtenschutzgesetzes" 1996 gab es zwar zivilrechtliche Verbote und Sanktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers gegen übergriffiges Verhalten im Arbeitsverhältnis, diese wurden aber erst durch die Überführung dieser Bestimmungen in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) näher ins Bewusstsein der betrieblichen Akteure und der Arbeitsgerichte gerückt. Strafrechtlich war solches Verhalten zudem bis zum Jahre 2016 nur zu ahnden, wenn es die Tatbestände der Nötigung oder Vergewaltigung verwirklichte. Erst die Vorfälle in der Silvesternacht 2015/16 führten dann zur Änderung des deutschen Strafrechts. Anlass war das übergriffige Verhalten "fremder" Männer gegen "unsere" Frauen. Dass auch hierzulande sexuelle Belästigung und sexistisches Verhalten von Männern zum Alltag von Frauen gehörte, wurde bis dahin heruntergespielt und die seit gut 120 Jahren (5) bestehende Forderung der deutschen Frauenbewegung nach einer Änderung des Strafrechts überhört. Erst seit der Strafrechtsreform 2016 wird sexuelle Belästigung von Frauen im öffentlichen Raum jetzt unter Strafe gestellt.
Sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Normen bilden demnach den Rahmen für angemessenes Verhalten zwischen den Geschlechtern.
Betriebsräte und Arbeitgeber haben darüber zu wachen, dass die geltende Rechtsordnung eingehalten wird und vor allem dafür zu sorgen, dass ein Bewusstsein - insbesondere bei Führungskräften - darüber entsteht, was eine sexuelle Belästigung ist, und welches Verhalten in einem betrieblichen Kontext nicht geduldet werden darf. Das AGG schreibt dafür in § 12 präventive Maßnahmen des Arbeitgebers vor, die vor allem in Schulungen seiner Mitarbeitenden bestehen sollen.
Präventionsarbeit bezieht sich dabei insbesondere auf die Bewusstseinsbildung, denn erfahrungsgemäß fällt es bei diesem Thema immer wieder schwer, die dafür notwendige Sachlichkeit aufzubringen, um die Verantwortlichkeit bei den Tätern zu sehen und nicht bei den Opfern. Die gesetzlichen Bestimmungen helfen zwar im Einzelfall die Täter zu sanktionieren, dafür muss das Vorkommnis aber zunächst betriebsöffentlich gemacht werden - und das erfordert nach den Erfahrungen der betroffenen Frauen immer noch viel Mut und Durchhaltevermögen. Sie sehen sich nach wie vor mit Stereotypen und Vorurteilen konfrontiert, die etwas über das Geschlechterverhältnis in unserer Gesellschaft aussagen und die dazu führen, dass viele Fälle gar nicht benannt werden, um das "Betriebsklima" nicht zu stören. Von "das hat sie ja selbst provoziert" bis zu "das meint der nicht so" sind fast alle stereotypen Schuldzuweisungen und Bagatellisierungen im Repertoire der Reaktionen auf eine benannte Belästigungssituation zu finden. Es geht bei dem Thema also vor allem darum, Geschlechterrollen und stereotype Verhaltensmuster bewusst zu machen und zu verändern. Hier scheint es bei vielen Menschen - sowohl bei Männern als auch bei Frauen - immer noch Nachholbedarf an Erkenntnissen zu geben.
Personalratsmitglieder und Gleichstellungsbeauftragte berichten immer wieder von ablehnenden Haltungen, wenn sie versuchen, Betroffene zu vertreten und Konsequenzen für die Belästiger einzufordern. Das führt dazu, dass sich viele Betroffene gar nicht trauen, die belästigende Situation als Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz betriebsöffentlich zu machen.
Es geht also weniger um Sanktionen, als vielmehr um eine Veränderung der Betriebskultur im Umgang mit diesem Thema.
Ein wichtiges Element für das Zusammenleben im betrieblichen Zusammenhang bleibt dabei nach einer gerade erschienenen Studie der Hans Böckler Stiftung (6) eine Betriebsvereinbarung. Diese soll helfen, verbindliche Rahmenbedingungen zu schaffen und für Transparenz und Handlungssicherheit zu sorgen. Ein wesentliches Element der Festlegungen in einer Betriebsvereinbarung sind dabei auf jeden Fall Schulungsmaßnahmen, da es letztlich weniger um rechtliche Sanktionen als vielmehr um Verhaltensänderungen und Erkenntnisse der Begründungszusammenhänge dieses Themas geht. Zusätzlich ist ein transparentes und strukturiertes Beschwerdeverfahren vorzuschreiben und es sind klare Regelungen über mögliche Sanktionen zu treffen. Die "Verfahrenshoheit" muss dabei immer bei der betroffenen Person bleiben, denn letztlich ist die Frage, was eine sexuelle Belästigung ist, nicht über den Kopf derjenigen Person zu entscheiden, die sich davon betroffen fühlt.
Führungskräfte und Betriebsräte sind also bei diesem Thema in der Verantwortung, um die betriebliche Wirklichkeit vor allem im präventiven Sinne des § 1 AGG mit- und neuzugestalten und um Klarheit in den Umgang damit zu bringen.