Mitarbeiter*innen mit psychischen Erkrankungen – SBV übernehmen Sie!

Von Enjo Beckmann, Erziehungs- und Rehabilitationswissenschaftler (M.A.)

Jede*r Vierte von uns erfüllt die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Nur knapp 20 % der Betroffenen nehmen jedoch professionelle Hilfe in Anspruch. Dennoch entstanden 2022 durch psychische Erkrankungen in Deutschland 132 Millionen Krankheitstage. Neben den individuellen Folgen für betroffene Menschen und Angehörige hat dies auch enorme gesamtgesellschaftliche Auswirkungen.

Psychische Erkrankungen verursachen in Deutschland schätzungsweise Kosten in Höhe von 147 Milliarden € jährlich. Diese Summe beinhaltet die direkten Kosten für medizinische Versorgung und Sozialleistungen sowie indirekte Kosten z. B. durch Produktivitätseinbußen. Hinzu kommt, dass von 2012 bis 2022 die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen um rund 50 % zugenommen haben. In Anbetracht der vielfältigen aktuellen und prognostizierten Krisen ist ein absehbarer Rückgang wenig wahrscheinlich. Eine vermehrte mediale Präsenz psychischer Erkrankungen und „Offenbarungen“ Prominenter tragen mutmaßlich zu einer gesteigerten Sichtbarkeit und Zugänglichkeit bei.

Aber auch wenn die Steigerung darauf hindeuten kann, dass psychische Erkrankungen in der Gesellschaft weniger tabuisiert werden, kann von einer beachtlichen Dunkelziffer ausgegangen werden. Psychische Erkrankungen sind für viele Menschen immer noch mit großer Scham und Sorge vor Stigmatisierung verbunden. Hinzukommen Scheu und fehlendes Wissen, im privaten wie im beruflichen Umfeld, wie mit Menschen mit einer psychischen Erkrankung umgegangen werden soll und kann. Und nicht zuletzt mangelt es oft an notwendigen Ressourcen für adäquate Hilfs- und Präventionsangebote sowie die praktische Umsetzung derselbigen.

Welchen Beitrag kann respektive muss nun die SBV leisten?

Während in den letzten 20 Jahren viele Behinderungsarten relativ konstant geblieben sind, z. B. Hör- oder Sehbehinderungen, ist bei psychischen Behinderungen eine signifikante Steigerung festzustellen. Im Gegensatz zu allen anderen Schwerbehinderungen haben sich die Zahlen bei psychischen Schwerbehinderungen vervielfacht. Auch wenn physische Behinderungsformen in der Gesamtverteilung häufiger auftreten, psychische Behinderungen sind auf dem Vormarsch. Gemäß der Versorgungsmedizinverordnung sind demnach auch Menschen mit psychischen und seelischen Beeinträchtigungen berechtigt, einen Grad der Behinderung feststellen zu lassen und Nachteilsausgleiche zu erhalten. Hierfür ist die SBV die erste Anlaufstelle im Betrieb. Neben der Unterstützung bei Eingliederung, Kündigungsschutz sowie Antrags- und Widerspruchsverfahren geht es vor allem um die Überprüfung und Anpassung von Arbeitsplätzen (inklusive der Arbeitsorganisation). Hierfür ist die Zusammenarbeit mit inner- und außerbetrieblichen Partnern von großer Bedeutung. Exemplarisch sind hier Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Integrationsfachdienst und Rehaträger zu nennen. Mit diesen arbeitet die SBV auch im Falle anderer Behinderungsarten zusammen.

Dennoch zeigt sich, dass z. B. schon beim Thema Umgang mit psychischen Belastungen und generell langfristigen Arbeitsbelastungen im Betrieb oft noch viel Luft nach oben ist. Eine Nichtbeachtung derartiger Überbelastungen leugnet, dass dadurch die Wahrscheinlichkeit, an einer Angststörung oder Depression zu erkranken, um 50 % erhöht ist. Der Betrieb kann also potenziell „Nährboden und Auslöser“ psychischer Erkrankungen sein und hat einen wesentlichen Anteil an der Perspektive psychisch erkrankter Mitarbeiter*innen. Wie auch bei anderen nicht offensichtlichen Behinderungen sind der Umgang mit Unverständnis und Vorurteilen besonders herausfordernd. Die SBV kann hier mit dazu beitragen, dass Menschen mit psychischen Behinderungen bzw. davon Bedrohte sich trauen Kontakt aufzunehmen.

Die SBV kann eine Mittlerfunktion einnehmen und bei der Sensibilisierung und Aufklärung von Vorgesetzten und Kolleg*innen einen wertvollen Beitrag leisten. Aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Netzwerks kann die SBV an interne und externe Anlaufstellen verweisen, bzw. diese hinzuziehen. Vergessen werden sollte dabei nicht, dass die SBV keine ärztliche oder therapeutische Arbeit leisten kann. Dennoch ist Grundlagenwissen über psychische Erkrankungen, Kommunikationstechniken und Krisenintervention wichtig für gelingenden Kontakt, Beratung und Vermittlung. Das Eruieren von Informationen ist durch psychische Erkrankungen oft erschwert. Somit ist es auch für die SBV herausfordernd den richtigen Ton und die richtigen Fragen und Antworten zu finden, aber es lohnt sich daran zu arbeiten.