Betriebsratstätigkeit und Arbeitszeugnis

 

730x300 - Frau mit Lupe in der Hand

Spätestens, wenn ein Arbeitsverhältnis beendet wird, steht dem Arbeitnehmer bekanntlich ein Recht auf Erhalt eines Arbeitszeugnisses zu. Dies ergibt sich aus § 630 des BGB in Verbindung mit § 109 der Gewerbeordnung (GewO). Hinsichtlich Form und Inhalt eines solchen Arbeitszeugnisses wurden in der Rechtspraxis einerseits aus dem Gesetzestext und andererseits aus Richterrecht diverse Rechtsgrundsätze gebildet.

Von Richterrecht spricht man dann, wenn Gesetze konkretisiert oder Gesetzeslücken ausgefüllt werden durch eine über einen längeren Zeitraum erfolgende gleichartige Beurteilung eines Sachverhalts oder einer rechtlichen Frage durch hochrangige Gerichte. Dieser sogenannten ständigen Rechtsprechung folgen dann in der Regel die untergeordneten Gerichte. Dadurch bilden sich in der Rechtspraxis Rechtsgrundsätze, die im Gesetz zwar so genau gar nicht festgelegt sind, denen im Rechtsverkehr aber - zumindest im Idealfall - gefolgt wird. Diese Rechtsgrundsätze können sich natürlich auch jederzeit ändern, wenn sich die höchstrichterliche Rechtsprechung zu der betreffenden Thematik konkretisiert oder verändert.

Einer dieser Rechtsgrundsätze bezüglich der Zeugniserteilung besagt, dass der Inhalt eines Arbeitszeugnisses wahr und vollständig sein muss. Das Zeugnis darf also keine Lücken enthalten und muss sämtliche wesentlichen Tatsachen enthalten, die für eine Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers relevant sind und an denen ein zukünftiger Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse haben könnte.

Aber wie verhält es sich mit einer Zugehörigkeit im Betriebsrat? Wenn sich ein Arbeitnehmer nach Beendigung seines bisherigen Arbeitsverhältnisses, in dessen Rahmen er eine Tätigkeit im Betriebsrat ausgeübt hat, auf eine neue Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Arbeitnehmervertretung bewerben möchte, kann ein Vermerk im Zeugnis auf Erfahrung als Betriebsratsmitglied durchaus von Vorteil sein. Aber wann kommt das schon vor? Wenn er sich jedoch nicht gerade auf eine Stelle bei einer Gewerkschaft bewirbt, ist auch nicht abwegig, dass der eine und andere potenzielle Arbeitgeber Probleme mit einer vormaligen Betriebsratstätigkeit haben könnte. Da im Allgemeinen bekanntlich nichts ewig währt, stellt sich daher für aktuelle oder zukünftige Betriebsratsmitglieder die Frage: Muss eine Zugehörigkeit im Betriebsrat nach den oben genannten Grundsätzen im Arbeitszeugnis aufgeführt werden?

Gesetzeslage

Im Gesetz finden wir zu dieser Problematik nichts Konkretes. Zwar stellt § 78 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) grundsätzlich fest, dass Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Tätigkeit, auch hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklung, weder benachteiligt noch begünstigt werden dürfen. Zu Arbeitszeugnissen im Speziellen sagt der Paragraf jedoch nichts.

Entwicklung der Rechtsprechung

Zur Beantwortung unserer Frage muss also auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Hier stellt sich die Situation im Wesentlichen wie folgt dar:

Seit einem richtungsweisenden Urteil des LAG Frankfurt Ende der 70er Jahre entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass die Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zum Betriebsrat in aller Regel nicht im Zeugnis zu erwähnen ist. Dies gilt seither jedenfalls dann, wenn es der Arbeitnehmer nicht wünscht. Etwas Anderes konnte laut LAG allenfalls dann gelten, wenn der Arbeitnehmer vor seinem Ausscheiden lange Zeit ausschließlich für den Betriebsrat tätig war (z. B. als vollständig freigestelltes Betriebsratsmitglied) und der Arbeitgeber infolgedessen überhaupt nicht mehr in der Lage war, dessen Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis verantwortlich zu beurteilen (vgl. LAG Frankfurt/M. 10.3.1977 - 6 Sa 779/76 1).

Dieser Rechtsgrundsatz wurde im Laufe der Zeit dahingehend weiterentwickelt, dass grundsätzlich der Arbeitnehmer entscheiden kann, ob seine Mitgliedschaft im Betriebsrat im Arbeitszeugnis erwähnt wird. Lediglich eine längere vollständige Freistellung des Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit sei - auch im Interesse des Arbeitnehmers - zwingend im Arbeitszeugnis zu vermerken (vgl. ebenso: LAG Köln, Urteil vom 06.12.2012 - 7 Sa 583/12).

Letztgenannter Aspekt wurde kürzlich in einer seitens der Presse in hohem Maße beachteten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg mit hochinteressanter Urteilsbegründung weiter konkretisiert. Laut dieser ist auch bei einem langjährigen Arbeitsverhältnis, in dessen letzten Jahren die Arbeitnehmerin zwar nicht komplett freigestellt, aber doch fast ausschließlich nur noch für den Betriebsrat tätig war, eine Erwähnung der Betriebsratszugehörigkeit gegen den Willen der Arbeitnehmerin im Arbeitszeugnis unzulässig. In seiner Urteilsbegründung legte das LAG wesentlich stärker als andere Gerichte zuvor Wert auf das oben genannte Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG. Es gab dem Arbeitgeber insofern auf, eine wahrheitsgemäße und vollständige Beurteilung der Gesamtleistung der Arbeitnehmerin und ihres Verhaltens im Arbeitsverhältnis aus den Jahren vor ihrer Betriebsratszugehörigkeit vorzunehmen (vgl. LAG Nürnberg, Urteil v. 11.10.2018 – 5 Sa 100/18).

Mögliche zukünftige Entwicklung

Tendenziell ist hier also aktuell eine Verschiebung der Rechtsprechung zugunsten der Rechte der Arbeitnehmerschaft zu beobachten. Eine entsprechende Leistungs- und Verhaltensbeurteilung erscheint mit der Begründung des LAG Nürnberg auch bei langjährigen Arbeitsverhältnissen mit lediglich temporärer, aber vollständiger Freistellung von der Arbeitspflicht denkbar. Ob daher auch in Zukunft eine Betriebsratstätigkeit bei vollständiger Freistellung von der Arbeitsverpflichtung weiterhin im Zeugnis zu erwähnen sein wird, bleibt abzuwarten, die weitere Entwicklung der Rechtsbildung mit Spannung zu verfolgen.

Seminartipps