Mitarbeiter mit psychischen Erkrankungen unterstützen

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Bei psychischen Erkrankungen gibt es noch immer eine große Unsicherheit im Umgang mit Betroffenen. Dabei erkrankt jede*r Zweite im Laufe des Lebens an einer psychischen Störung und an einer Depression jede*r Fünfte. Auch die aktuelle Corona-Pandemie dürfte in der nächsten Zeit zu einem verstärkten Auftreten psychischer Erkrankungen und in der Folge zu BEM-Maßnahmen führen.

Gerade mittelschwere und schwere Erkrankungen führen meist zu längeren Ausfallzeiten. Viele Kolleg*innen und auch die Geschäftsleitung sind oft verunsichert im Umgang, wenn sie von einem ihrer Mitarbeiter wissen, dass er bzw. sie eine psychische Erkrankung hatte. Dabei brauchen diese Menschen meist gar keine besonderen Arbeitsbedingungen: Was grundsätzlich gut für Beschäftigte ist, brauchen auch Menschen mit psychischen Erkrankungen - nur halt etwas mehr. Was dieses Mehr insbesondere in der Phase der Wiedereingliederung ist und wie Sie als Betriebsrat die Betroffenen unterstützen können, wird in diesem Artikel beschrieben.

Psychische Probleme erkennen

Eine psychische Erkrankung ist trotz ihrer weiten Verbreitung oft mit einem Stigma behaftet. Gerade Männer schieben gern eine körperliche Diagnose vor, weil sie sich eine psychische Störung nicht eingestehen wollen. Typische körperliche Symptome bei einer solchen Störung können Verdauungsbeschwerden, körperliche Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust oder auch starke -zunahme, Muskelverspannungen, chronische Schmerzen und Herz-Kreislauf-Schwäche sein. Es gibt aber auch körperliche Erkrankungen und deren Folgen, welche zu psychischen Beschwerden führen können. Auch traumatische Erfahrungen, wie eventuell im Rahmen einer Covid-19-Erkrankung, können schwere psychische Störungen auslösen – manchmal sogar sehr zeitversetzt! Bei Mitarbeitenden finden sich Hinweise auf solche Problematiken meist nur in Andeutungen.

Gerade beim Thema Psyche ist eine sensible Gesprächsführung gefordert, auf die man gut vorbereitet sein sollte. Typische Symptome einer psychischen Störung sind Antriebs- und Konzentrationsstörungen, gedrückte Stimmung, sozialer Rückzug, Schlafstörungen aber auch Gereiztheit. Solche Symptome führen oft zu Schwierigkeiten bei der Erledigung der übertragenen Aufgaben und Pflichten. Gerade bei einer Depression sollte genau auf mögliche Suizidgedanken geachtet werden und dann entsprechende Experten*innen (z. B. Krisendienst, Facharzt/Fachärztin oder auch Betriebsarzt/Betriebsärztin) eingeschaltet werden – bei akuter Suizidalität auch unmittelbar der Notfallmediziner. Bei einem Verdacht sollte man konkret nachfragen: „Haben Sie den Gedanken, sich selber etwas anzutun?“ Und bei einem „Ja“ unmittelbar die Profis einbinden!

Schwierige Arbeitssituationen bei der Wiedereingliederung und auch danach vermeidbar?

Typische Belastungsfaktoren insbesondere für Menschen mit psychischen Erkrankungen sind Arbeitsbedingungen, welche mit Stressspitzen, starken Emotionen und großer Flexibilitätsanforderung verbunden sind. Daher sind Arbeitsplätze wie z. B. im Akkord, Reklamationsannahme, Außendienst und ein Arbeitsumfeld mit Konflikten im Team oder mit der Führungskraft sowie Change-Prozesse oft problematisch.

Da eine Depression, wie auch andere psychiatrische Erkrankungen, eine Verbindung zu Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmusses zeigt, ist eine Schichtarbeit typischerweise zu vermeiden. Auch frühe Anfangszeiten können hier eine Belastung sein, insbesondere wenn Medikamente gegen Schlafstörungen, welche typisch sind für psychische Erkrankungen, genommen werden.

Eine Aufgabe, die einen subjektiven Sinn ergibt und es erlaubt, dass sich der Mitarbeitende damit identifiziert, ist grundsätzlich ein förderlicher Aspekt. Diese birgt aber die Gefahr, dass nach Feierabend nicht abgeschaltet werden kann. Als sehr problematisch ist gerade für diesen Personenkreis zu sehen, wenn von Unternehmens- und Führungsseite eine Entgrenzung der Arbeit durch Kommunikation in die Freizeit hinein, z. B. durch Anrufe und E-Mails, (stillschweigend) gefordert wird. Auch eine Vertrauensarbeitszeit sollte durch klare Regeln begrenzt werden, um eine Überlastung und damit eine Wiedererkrankung zu vermeiden.

Vorgehen bei einer Wiedereingliederung

Erst nach einer Erfassung der Ist-Situation können Lösungen entwickelt werden. Typischerweise startet diese Phase mit der Frage „Welche Ideen haben Sie, wie Ihre Situation ein klein wenig entlastet werden kann?“. Auch hier gilt der Grundsatz in besonderem Maße: Aus Betroffenen Beteiligte machen.

Es gibt grundsätzliche Aspekte, welche für Menschen mit psychischen Erkrankung - und nicht nur für diese Gruppe! - hilfreich sind, damit sie ihre Arbeit machen können. Der Schweizer Psychiater Luc Ciompi (vgl. Ciompi 2019, 335) hat Grundsätze für den Umgang mit Menschen mit einer psychischen Erkrankung formuliert. Diese lassen sich wie folgt auf die Arbeitswelt übertragen:

  1. Kleines, entspannendes, konstantes Kolleg*innenteam
     
  2. Gemeinsame (Mitarbeitende, Führungskraft und BEM-Berater*in) Erarbeitung von klaren und (subjektiv) realistischen Entwicklungszielen
     
  3. Kontinuierliche mitmenschliche Begleitung z. B. durch den BEM-Berater*in über einen längeren Zeitraum
     
  4. Langsam sich steigernde Arbeitsbelastung mit Schutz vor Überforderung
     
  5. Stabile, voraussehbare und belastungsarme Arbeitsumgebung
     
  6. Klare, entspannte und wertschätzende Kommunikation
     
  7. Behandlung als geschätzte*r Kolleg*in bzw. Mitarbeitende*r -  keine Stigmatisierung.

Die hier genannten Prinzipien sind Aspekte, die für alle Beschäftigten günstig sind, um gesund und leistungsfähig zu bleiben. Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind typischerweise auf diese Faktoren besonders angewiesen.

Wichtige Aspekte bei der Wiedereingliederung

Wie auch bei primär körperlichen Erkrankungen lassen sich am Arbeitsplatz Hilfen sowohl auf der Seite der Person, als auch der Umwelt ansetzen. Bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung steht oft der Schutz vor (Selbst-)Überforderung an erster Stelle: regelmäßig Pausen machen (bevor man müde wird!), „Nein-sagen“ lernen, besserer Umgang mit Konflikten und emotionalen Belastungen sind Beispiele hierfür. Hierbei können Angebote wie Coaching und Schulungen nützlich sein. Da Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose oft über besondere Arbeits(über-)anstrengungen das Stigma der psychischen Erkrankung loszuwerden versuchen, muss vorbeugend gehandelt werden. Eine stufenweise Wiedereingliederung mit regelmäßiger Reflexion und Feedbackgesprächen ist da sehr nützlich. Oft ist es zielführend, sehr früh und behutsam mit dieser Eingliederung zu beginnen und dafür die Arbeitszeiten nur langsam zu steigern. Um die Wiedereingliederung zu unterstützen, hat es sich bewährt, eine*n Mentor*in aus dem Kolleg*innenkreis für den Mitarbeitenden auszuwählen. Diese Person fungiert als primäre Kontaktperson für Fragen, bei Konflikten oder einfach nur als soziale Bezugsperson.

Die Bedeutung der Arbeitsaufgaben bei der Wiedereingliederung

An der Arbeitsumgebung lässt sich gleichfalls einiges machen, um unnötige Belastungen zu reduzieren: Es können die Aufgaben angepasst, Verhaltensrichtlinien entwickelt oder auch Konflikte am Arbeitsplatz durch Gespräche und Mediation gelöst werden. Grundsätzlich sind monotone Arbeiten ungünstig, können aber von Menschen mit einer psychischen Erkrankung als beruhigend erlebt werden. Gleiches gilt für Job-Rotation, Arbeitsanreicherung oder -ausweitung, die zu mehr Belastung führen kann, welche nicht immer die positiven Effekte bei dieser Zielgruppe aufwiegt. Gerade hier ist eine genaue individuelle Betrachtung notwendig!

Aufgrund der Antriebsstörungen, Rückzugstendenzen und sozialen Schwierigkeiten, welche oft mit einer Depression verbunden sind, können auch bestimmte Aufgaben mitunter nicht mehr ausreichend übernommen werden. Hierzu zählen u. a. Tätigkeiten im aktiven Vertrieb, Öffentlichkeitsarbeit und Kundenbetreuung. Im Rahmen der Begleitung gilt es zu klären, ob solche Tätigkeiten nur vorübergehend nicht ausgeübt werden können bzw. welche Unterstützung dafür notwendig ist, oder ob eine Versetzung günstiger wäre.

Die Bedeutung der Arbeitsumgebung bei der Wiedereingliederung

„Moderne“ Arbeitsplatzkonzepte wie Großraumbüro und besonders das „non-territoriale Büro“ sind gerade bei dieser Personengruppe meist kontraindiziert, weil die Kontinuität fehlt und immer wieder Anpassungsleistungen gefordert werden. Ein ruhiger Arbeitsplatz mit einer stabilen, vorhersagbaren Umgebung ist günstiger, weil dadurch weniger Belastungen für den Mitarbeitenden entstehen. Dies gilt ebenso für Menschen ohne ausgewiesene psychische Erkrankungen! Manchmal genügt es schon in einem Großraumbüro eine ruhige Ecke zu gestallten. Auch Rückzugsmöglichkeiten oder die Nutzung eines Ruheraums sind günstig. Der Ruheraum darf aber nicht für andere Zwecke wie z. B. als Lager oder Kopierraum genutzt werden, wie es leider manchmal vorkommt.

Die Bedeutung der/des Vorgesetzten bei der Wiedereingliederung

In einigen Fällen kann es sinnvoll sein, das Umfeld und insbesondere die Führungskraft über die Erkrankung und deren Besonderheiten aufzuklären. Dadurch können z. B. Überforderungen durch zusätzliche Arbeiten, Kontaktierungen außerhalb der Arbeitszeiten vermieden werden. Die Führungskraft kann so auch erkennen, dass Antriebs- und Konzentrationsstörungen, wie sie typisch für eine Depression sind, kein Indikator für ein „Motivationsproblem“ sind. Voraussetzung dafür ist aber ein gutes Vertrauensverhältnis und eine Führungskraft, die mit dieser Information auch vernünftig umgehen kann.

Wie geht es nach der Wiedereingliederung weiter?

Nicht nur weil eine psychische Erkrankung oft phasenweise verläuft und Frühwarnsymptome rechtzeitig bemerkt werden sollten, sondern auch weil es zu verhindern gilt, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, ist es hilfreich, ein Vorsorgeprogramm zu entwickeln. Das kann z. B. bedeuten, dass der Mitarbeitende regelmäßig über einen längeren Zeitraum kurze Gespräche mit der/m BEM-Berater*in führt - die natürlich keine Psychotherapie ersetzen können oder sollen! Auch die Hinzuziehung des Integrationsfachdienstes (IFD) ist bei der Begleitung von Mitarbeitenden mit einer psychischen Erkrankung hilfreich. Der IFD unterstützt die Geschäftsleitung und Arbeitnehmer*innen durch Beratung, Erstellung von Anforderungs- und Fähigkeitsprofilen am Arbeitsplatz, Jobcoaching und weiteren Angeboten.

Wie allgemein, gibt es auch bei Menschen mit psychischen Erkrankungen keine pauschalen Lösungsmöglichkeiten, sondern es muss immer individuell geprüft werden, was hilfreich, akzeptiert sowie möglich ist - und das unter der Prämisse: Aus Betroffenen Beteiligte machen!

Fazit

Es wurde deutlich, dass es für Menschen mit psychischen Erkrankungen viele Möglichkeiten gibt, diese v. a. bei der Wiedereingliederung zu unterstützen. Welche für die konkrete Person die geeignete Intervention ist, hängt - wie auch sonst - von den individuellen und situativen Gegebenheiten ab. Eine gründliche und systematische Situationserfassung ist daher auch hier unbedingt notwendig. Menschen mit psychischen Erkrankungen benötigen in der Regel keine besonderen Arbeitsplatzbedingungen, nur die, welche auch für alle anderen Arbeitnehmenden wichtig und sinnvoll sind. Während diese Personen schlechte Arbeitsbedingungen eher kompensieren können, besteht für Menschen mit einem psychischen Leiden ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. So gesehen können psychische Erkrankungen auch Indikator für schlechte Arbeitsbedingungen sein. Es ist gut, sich bei der Begleitung von Mitarbeitenden mit psychischen Erkrankungen und auch der Gestaltung von Arbeitsbedingungen Unterstützung zu holen, damit es leichter und erfolgreicher werden kann.

 

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