Mit Strategie und Trommeln zum Ziel

von: Anja Moos, Referentin und Beraterin

Erfolgreiche Verhandlungen sind kein Selbstläufer. Sie setzen ein Ziel im Sinne eines Auftrags der Kolleg*innen voraus sowie einen Plan, auf welchem Weg dies erreicht werden soll (Strategie). Die Umsetzung muss situativ angepasst und durch wirksame Öffentlichkeitsarbeitsarbeit unterstützt werden. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Zum einen die authentische, aber anonymisierte Heldengeschichte des Betriebsrats von „LogGen“ und zum anderen das Interview mit Harald Ebeling, ehemaliges Mitglied des Gesamtbetriebsrats der DB JobService GmbH.

Die Heldengeschichte des Betriebsrats von "LogGen"

In einem großen Logistikunternehmen namens "LogGen" gab es einmal einen Betriebsrat, der sich unermüdlich für die Rechte seiner rund 600 Kolleg*innen einsetzte. Gemeinsam mit der Geschäftsleitung konnte immer eine für alle Beteiligten gute Lösung gefunden werden.

Der Betriebsrat, angeführt von einer engagierten Vorsitzenden namens Maria, stand nun vor einer weiteren großen Herausforderung: Das Management plante massive Stellenstreichungen: 200 Mitarbeitende sollten gehen, weil die Personalkosten zu hoch waren. Maria und ihr Team setzten sich mutig gegen diese Pläne zur Wehr und formulierten eine starke Botschaft an das Management:

Sie organisierten eine Betriebsversammlung. Alle Kolleg*innen, die Geschäftsleitung und auch Vertreter des Vorstands wurden eingeladen. Sie mieteten einen Saal mit Podium und klassischer Theaterbestuhlung für 400 Gäste.

Alle kamen. Auf dem Podium saßen der Betriebsrat, die Geschäftsleitung und der Vorstand. 400 Kolleg*innen saßen. 200 drängten sich durch die Türen und standen entlang den Gängen. Da rief ein Kollege der Maria aufgebracht zu, dass die Stühle nicht reichten. Maria antwortete: „Die Stühle reichen. Aber wir sind zu viel Personal!“

Plötzlich kam viel Bewegung in den Saal: Einige schoben zwei Stühle zusammen und nahmen zu dritt Platz. Andere rutschten schockiert an der Wand auf den Boden. Weitere beschimpften Maria: „Was soll der Blödsinn?“, „Ohne die Kolleg*innen fährt dann nur noch die Hälfte.“, „Das wird teuer!“ und mit vielem mehr. Maria wies mit der Hand zur Seite auf die Geschäftsleitung und den Vorstand.

Die folgenden Monate prägten harte, aber faire Verhandlungen über den Interessenausgleich und Sozialplan. Der Betriebsrat blieb standhaft und kämpfte für die Rechte seiner Kolleg*innen. Schließlich gelang es dem Betriebsrat, das Management davon zu überzeugen, die geplanten Stellenstreichungen auf 100 zu kürzen. Davon konnten 50 Kolleg*innen durch geänderte Arbeitsstrukturen und -bedingungen qualifiziert und versetzt werden. Weitere 50 Beschäftigte schieden auf eigenen Wunsch oder altersbedingt mit dicken Abfindungen aus.

Die Mitarbeitenden von "LogGen" feierten den Betriebsrat als ihren Helden. Dieser hatte für die Kolleg*innen bedürfnisorientierte Optionen geschaffen, vielen die Arbeitsplätze gerettet oder einen wirtschaftlichen Ausgleich gesichert. Begünstigt hatte dieses Ergebnis vor allem ihre strategische Öffentlichkeitsarbeit:

Vor der Betriebsversammlung grassierten Gerüchte. Viele Kolleg*innen wiegten sich in Sicherheit. Mit der Stuhl-Aktion auf der Betriebsversammlung wurde allen das Ausmaß und die mögliche Willkür der Folge einer wirtschaftlichen Unternehmer-Entscheidung spürbar. Die Aktion eröffnete auch die anschließende Auseinandersetzung und Meinungsbildung. Vor allem aber konnte gezeigt werden, dass der Betriebsrat im Unternehmen eine starke Stimme der Belegschaft ist.

Harald Ebeling im Interview: „Alle hatten Scheuklappen auf und einen Tunnelblick.“

Harald Ebeling war insgesamt rund 16 Jahre Personal- und Betriebsrat bei der DB – zuletzt bei der DB JobService GmbH. Auch als GBR-Mitglied hat er viele Betriebsvereinbarungen initiiert und verhandelt. Heute ist Harald Ebeling im Ruhestand. Als ausgebildeter Mediator setzt er seine erworbene Konfliktkompetenz weiter ein: Er ist Schiedsmann in den Gemeinden Gusow, Platkow und Neuhardenberg. Seine Erfahrungen als Betriebsrat gibt er gern an aktive Betriebsräte weiter.

Anja: Harald, wenn du zurückblickst, was war dein größter Verhandlungserfolg als Betriebsrat?

Harald: Das ist eine gute Frage. Da fällt mir zum einen das Thema „flexible Arbeitszeiten“ und zunehmende Selbstorganisation ein. Das war eine langjährige Entwicklung vom klassischen Arbeitszeitmodell über Vertrauensarbeitszeit bis hin zu „Flex@Work“, also mobilem Arbeiten und Homeoffice. Zum anderen bin ich stolz auf die Gesamtbetriebsvereinbarung „Kollege des Jahres“. Sie war eine hilfreiche Idee von mir und hatte einen großen messbaren Erfolg.

Anja: Worum ging es bei dieser hilfreichen Idee?

Harald: Der Arbeitgeber wollte eine Prämie in Höhe von 5.000 Euro brutto an den besten Mitarbeiter einer Abteilung ausschütten. Wählen sollten die Führungskräfte in Rücksprache mit ihrem Team. Betriebsrat und Arbeitgeber waren sich aber uneins über die Bewertungskriterien „besondere Leistungen“. Die Verhandlungen waren total festgefahren. Ich wollte mit einer neuen Idee wieder Bewegung reinbringen. Diese reifte in mir durch Gespräche mit vertrauten Betriebsräten vor Ort, Vorgesetzten und Kolleg*innen: Stimmrecht sollten nur die Mitarbeitende haben. Keine Führungskraft! Diese sollten auch kein Vetorecht haben.

Anja: Damit geht Führungskräften die Belohnungs- und Bestrafungsfunktion einer solchen Prämie verloren. Was war Ziel deiner Idee?

Harald: Ich wollte nicht den Leistungsgedanken allein im Sinne der Arbeitserfolge fördern, sondern auch im Sinne der Sozialkompetenzen. Im Kern ging es eigentlich darum, die Wertschätzung im Unternehmen, also die Unternehmenskultur nach innen zu stärken. Denn der Tenor der meisten Kolleg*innen zum Arbeitgebervorschlag war: „Da sind ja wieder die ‚üblichen Verdächtigen‘ in der Auswahl. Was ist das für eine Wahl, wenn die Führungskraft nach Nase entscheidet. So eine Betriebsvereinbarung brauchen wir nicht. Damit verzichte ich auch auf nix, da ich die Prämie eh nicht bekomme.“

Anja: Wie sah dein Lösungsvorschlag in Kurzform aus?

Harald: Es findet eine anonyme Wahl des/der „Kollegen des Jahres“ IT-gestützt statt. Alle Mitarbeite*innen – außer den Leitenden Angestellten – können zwei Kollegen wählen, einen Favoriten mit 3 Punkten und einen Zweiten mit einem Punkt. Ein Algorithmus errechnet dann die Gewinner der vorher festgelegten Abteilungen. Diese werden gemeinsam zu einem festlichen Essen mit der Geschäftsführung eingeladen. Außerdem erhalten sie die Prämie. Die direkten Vorgesetzten müssen den Gewinner*innen in Anwesenheit aller Mitarbeitenden der Abteilung feierlich einen Pokal überreichen.

Anja: Wie hast du diese neue Option dann in den Verhandlungsprozess eingebracht?

Harald: Ich bin mit dieser Idee inoffiziell an einen der beiden Geschäftsführer herangetreten. Der war immer offen für produktive Vorschläge. Also habe ich ihm erklärt, dass sie mit ihrem Konzept die Stimmung im Betrieb verschlechtern. Das Verhältnis zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden war damals sehr angespannt. Mein Vorschlag hingegen würde nur den „Zankapfel“ beseitigen und so die Wertschätzung stärken, da die Mitarbeitende selbst wählen und sich mehr mit dem Ergebnis identifizieren. Die gewählten Kolleg*innen wären dann ein glaubwürdiges Vorbild, an dem sich Mitarbeitende wie Führungskräfte orientieren könnten.

Anja: Warum bist du inoffiziell an die Geschäftsführung herangetreten?

Harald: Reines Bauchgefühl! Die Verhandlungen waren ja festgefahren. Ich selbst hatte das Gefühl, dass mein Vorschlag in den offiziellen Verhandlungen weder beim Gesamtbetriebsrat, noch bei der Geschäftsführung Gehör findet. Es ging nicht mehr um Inhalte. Es ging nur noch um das Durchsetzen oder Verhindern der vorliegenden Regelungen. Keiner schien mehr lösungsoffen. Meine Strategie: Für alle gesichtswahrend zum Ziel – also den Vorschlag über einen Umweg einbringen.

Nachdem der eine Geschäftsführer mir sein „Okay“ signalisiert hatte, stellte ich das Konzept dem Gesamtbetriebsrat vor – wie bei einer Shuttle-Mediation. Ich habe dem Gesamtbetriebsrat auch mitgeteilt, dass zumindest ein Geschäftsführer sehr offen für mein Konzept wäre. Der Vorsitzende ist dann damit in die offiziellen Verhandlungen gegangen. Dann ging alles sehr schnell: Alle wollten die Betriebsvereinbarung vom Tisch haben und einen Erfolg für sich verbuchen.

Anja: Wie wurde die Gesamtbetriebsvereinbarung bekannt gegeben? Musstest du die Werbetrommel rühren?

Harald: Es gab zunächst ein gemeinsames Schreiben des Gesamtbetriebsrats und der Geschäftsführung. Ja, als dann die Wahl anstand habe ich Klinken geputzt: Ich bin von Raum zu Raum gegangen, habe den Sinn der Gesamtbetriebsvereinbarung erklärt und die Kolleg*innen eindringlich zur Beteiligung aufgefordert.

Anja: Und wie groß war der Erfolg? Woran hast du ihn gemessen?

Harald: Ich war bange – und bin während der Wahl zur IT gegangen. Die hat mir inoffiziell mitgeteilt, dass nach 3 Stunden 85 % aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgestimmt haben. Das war eine sehr hohe Beteiligung. Nach der Wahl kamen einige Kolleg*innen auf uns Betriebsräte zu und sagten: „Endlich hat’s mal die Richtigen getroffen.“, „Der Nasenfaktor ist weg!“ und/oder „Das ist mal eine gute Betriebsvereinbarung!“.

Anja: Danke, Harald, für dieses Beispiel erfolgreicher lösungsorientierter und strategischer Betriebsratsarbeit. Ich darf wohl noch erwähnen, dass auch du im 1. Jahr den Pokal gewonnen hast. Die Wahl des Kollegen des Jahres findet seit 2017 immer noch jährlich statt. Die Prämienhöhe passt der Arbeitgeber vorher jeweils an.

Strategie, Verhandeln und Öffentlichkeitsarbeit: Fragen über Fragen

Heldengeschichte wie Interview werfen Fragen auf: Wann kann ich als Betriebsrat eine dieser Varianten zur Öffentlichkeitsarbeit nutzen? Welche unterschiedlichen Wirkungen erziele ich? Wie finde ich im Gremium „gute“ Lösungsoptionen? Wie gehe ich strategisch vor? Wie verhandele ich „hart, aber fair“? Oder auch: Wie hat Anja die Künstliche Intelligenz genutzt, um diesen Artikel effektiv und effizient für den Newsletter zu schreiben. Antworten auf solche und weitere Fragen finden sich in den untenstehenden Veranstaltungen.