Der Fall:
Die Klägerin war bei der Beklagten von 2009 bis 2020 als Therapeutin mit einer monatlichen Bruttovergütung i. H. v. zuletzt 3.700 € angestellt. Seit 2010 belief sich ihre wöchentliche Arbeitszeit auf 36 Stunden bei einer Verteilung auf fünf Wochentage. Ihr arbeitsvertraglicher Jahresurlaub betrug 29 Arbeitstage.
Ab dem 24.08.2015 befand sich die damals mit ihrem ersten Kind schwangere Klägerin im Mutterschutz. Zu diesem Zeitpunkt stand ihr noch ein Urlaubsanspruch aus dem laufenden Jahr zu. Im unmittelbaren Anschluss an die Mutterschutzfrist nahm sie Elternzeit in Anspruch. Daran schlossen sich nahtlos die Mutterschutzfristen anlässlich der Geburt eines weiteren Kindes an, nach deren Ablauf die Klägerin Elternzeit bis zum 25.11.2020 nahm. Mit Schreiben vom 08.07.2020 kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum Ablauf der Elternzeit. Eine Kürzungserklärung bezüglich der Urlaubsanspruchs während der Elternzeit (§ 17 BEEG) gab die Beklagte nicht ab.
Mit Schreiben vom 15.03.2021 forderte die Klägerin die Beklagte vergeblich auf, den Resturlaub aus den Jahren 2015 bis 2020, insgesamt 146 Urlaubstage i. H. v. insgesamt 24.932 € brutto abzugelten. Die Klägerin meint, die Urlaubsansprüche seien während der Mutterschutzfristen und der Elternzeit in voller Höhe entstanden. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne die Beklagte den Urlaub nicht mehr kürzen.
Die Lösung:
Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg. Die Urlaubsansprüche aus den Jahren 2015 bis 2020 sind nicht verfallen. Das Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG findet während der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote und der Elternzeit keine Anwendung. § 24 S. 2 MuSchG, demzufolge die Arbeitnehmerin den vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhaltenen Erholungsurlaub auch noch nach Ablauf der Verbote im laufenden Jahr oder im Folgejahr nehmen kann, steht einem Verfall von Urlaub während der Mutterschutzfristen entgegen.
Während der Elternzeit gehen die gesetzlichen Sonderregelungen in § 17 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BEEG den allgemeinen Befristungsregelungen in § 7 Abs. 3 BUrlG vor (BAG, Urteile vom 05.07.2022 – 9 AZR 341/21 und 19.03.2019 – 9 AZR 495/17). Der Urlaub muss weder nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG im laufenden Kalenderjahr noch nach § 7 Abs. 3 S. 2 und 3 BUrlG in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Die Urlaubsansprüche der Klägerin bestanden danach wegen der nahtlos aneinander anschließenden Mutterschutzfristen und Elternzeiten nach dem Ende der zweiten Elternzeit fort. Die auf die Mutterschutzfrist nach der Entbindung folgende Elternzeit dauerte bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 25.11.2020.
Die Urlaubsansprüche sind auch nicht aufgrund einer Kürzungserklärung der Beklagten gem. § 17 Abs. 1 BEEG teilweise untergegangen. Das LAG hat insofern zutreffend erkannt, dass der Beklagten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr das Recht zustand, die auf die Elternzeit entfallenden Urlaubsansprüche zu kürzen.
Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht verjährt. Denn die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien noch nicht abgelaufen.
Hinweis für die Praxis: Für die Arbeitgeberin ist das Ergebnis ernüchternd. Sie hätte es aber verhindern können, wenn sie eine Kürzungserklärung rechtzeitig und nicht erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegeben hätte. Nun wird es für sie teuer.