Konflikte schwerbehinderter Menschen aktiv lösen

 

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Martina Klein ist als Vertrauensperson der schwerbehinderten Kollegen seit fast einem halben Jahr im Amt.

Sie hat alles dafür getan, dass sowohl sie und auch das, was ihr Amt ausmacht, im Unternehmen bekannt werden. Auf der zurückliegenden Betriebsversammlung hat sie sich vorgestellt und erläutert, welche Aufgaben ihr Amt beinhaltet.

Sie hat einen Beitrag über ihre Person, ihre Tätigkeit und ihre Sprechzeiten ins Intranet gestellt und ebenso vor der Kantine am schwarzen Brett angebracht. Alle betroffenen Arbeitnehmer am Arbeitsplatz aufzusuchen hatte sie sich vorgenommen, aber aus zeitlichen Gründen noch nicht geschafft. Zu den Sitzungen des Betriebsrats ist sie regelmäßig anwesend.

Frau Gisela Streit ist eine schwerbehinderte Kollegin. Sie ist gehörlos. Beschäftigt ist sie in der Versandabteilung des Unternehmens.

Aufgrund ihrer Behinderung ist sie ein eher zurückgezogener Mensch und auch etwas misstrauisch. Deshalb ist sie bei ihren Kollegen nicht beliebt und wird von ihnen gemieden.

In der letzten Zeit war sie aufgrund von Rückenproblemen oft krankgeschrieben. Die Kollegen sind verärgert, dass sie die Arbeit der „Behinderten“ mit übernehmen müssen. Frau Streit hat sich an den Betriebsrat mit der Bitte um Hilfe gewandt. Ihre Begründung: Hinter ihrem Rücken würde über sie geredet, man sei neidisch auf ihren zusätzlichen Urlaub und würde ihr die Arbeit erschweren.

Der Betriebsrat hat nun Frau Klein, die Schwerbehindertenvertrauensperson, herangezogen, mit der Bitte die Angelegenheit zu klären. Frau Klein ist verärgert und gekränkt, dass sie von Gisela Streit übergangen wurde. Der richtige Weg wäre doch gewesen, dass sie sich direkt an sie gewandt hätte. Natürlich will sie sich für Frau Streits Problem einsetzen, aber …

Wo Menschen sind, treten Konflikte auf. Sie sind nahezu überall, mal laut, mal leise, mal offen, mal verdeckt. Zwischen zwei Personen, zwischen Gruppen oder in uns selbst. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Empfinden wir sie als Belastung, ärgerlich und unnötig? Versuchen wir, sie zu ignorieren? Bauschen wir sie gar auf? Oder begreifen wir sie als zu unserem Leben dazugehörig.

Auch eine Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bleibt von solchen Situationen nicht verschont. Emotionen kochen hoch und das Problem lässt sich schwer allein auf der Sachebene lösen. Emotionen bestimmen unser Denken und unser Handeln. Hier, wie in den meisten Konflikten, ist Empathie ebenso gefragt wie eine gewisse Distanz. Eine gute Beziehung ist die beste Basis für das Lösen von Problemen. Die Partner sollen sich auf Augenhöhe und mit Vertrauen begegnen können.

Martina Klein weiß, dass ihre Rolle als Vertrauensperson fordert, sich für die Interessen von Gisela Streit einzusetzen. Andererseits hat sie auch ein gewisses Verständnis für die Kollegen und ihre Abneigung Frau Streit gegenüber. Und nicht zuletzt muss sie die persönliche Verletzung, übergangen worden zu sein, verkraften.

Sie nimmt sich vor, das kommunikative Handwerkszeug, das sie in den SBV-Seminaren erlernt hat, anzuwenden.

Sie will zunächst den kurzen, inoffiziellen Weg wählen, um persönlich mit den Betroffenen zu sprechen, um ihre Sicht und ihren jeweiligen Standpunkt zu verstehen. Dazu wird sie sich im ersten Schritt mit Gisela Streit zusammensetzen und durch aktives Zuhören versuchen, ihre Situation besser zu verstehen. Mit entsprechenden Fragen, wie: Was müsste sich ändern, damit sie sich besser im Team integriert fühlt? Welches wäre ihr eigener Anteil daran? ...

Gleiches wird sie mit den Kollegen der Versandabteilung machen und so um gegenseitiges Verständnis für die Situation der anderen Seite werben. Hier wird sie darauf hinweisen, dass Rückenprobleme alle Menschen einmal betreffen können und in keinem Zusammenhang mit der Behinderung von Frau Streit stehen. Ist es ihr gelungen, die Wogen auf der Beziehungsebene zu glätten, kann sie auf der Sachebene die arbeitsorganisatorische Seite in Angriff nehmen und gemeinsam mit der Abteilungsleitung nach Lösungen suchen.

Im zweiten Schritt muss sie aufklärend tätig werden und zwar nicht nur bei den Mitarbeitern der Versandabteilung, sondern im ganzen Betrieb: Aus welchen Gründen gibt es Vergünstigungen für schwerbehinderte Menschen? Hier sollen die behinderungsbedingten Nachteile ausgeglichen werden, welche ein betroffener Mensch hat. Sie plant einen Artikel in der Betriebszeitung zum Thema zu veröffentlichen.

Als dritten Schritt wird sie in sich gehen und nach den Ursachen ihrer Verletzung suchen. Lag hier wirklich eine nicht genügende Anerkennung ihres Amtes oder gar ihrer Person vor? Oder war es nicht vielmehr so, dass ihre „ersten Schritte des Bekanntmachens“ noch lange nicht ausreichend waren, um ihr Amt publik zu machen. Sie wird als nächstes den Betriebsrundgang in Angriff nehmen, um sich ein besseres Bild von den Arbeitsbedingungen der Betroffenen machen zu können. Am schwarzen Brett wird sie einen festen Platz für die SBV einfordern. Den wird sie in regelmäßigen Abständen mit Artikeln, welche für Betroffene aber auch für die gesamte Belegschaft interessant sind, bestücken.

Die Arbeit einer Vertrauensperson schwerbehinderter Menschen verlangt nicht nur sehr viel Einfühlungsvermögen, sondern auch Kontinuität und Ausdauer, mitunter Kreativität und die Bereitschaft auch unbequeme Wege zu gehen.

Einen Konflikt möglichst rechtzeitig zu erkennen und zu stoppen, ist oberstes Gebot. Lassen Sie es nicht zu, dass er auf der Rutschbahn in die Eskalation so an Fahrt gewinnt, bis er bleibende Schäden in den Beziehungen hinterlässt!

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