Arbeitszeit & Ruhezeit - wann besteht eine Vergütungspflicht?

 

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Arbeitest du noch oder ruhst du schon?

Die Frage nach der Arbeitszeit führt regelmäßig zu Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist dabei vor allem, in welchem Umfang Arbeitszeit zu vergüten ist. Gerade in Zeiten „ständiger Erreichbarkeit“, scheint die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit zu verschwimmen. Umso wichtiger ist ein möglichst transparenter Umgang mit diesem Thema.

Gesetzliche Vergütungspflichten

Grundsätzlich besteht eine gesetzliche Vergütungspflicht nach § 611 Abs. 1 BGB. Dem Wortlaut nach ist diese Pflicht an die Leistung der „versprochenen Dienste“ gekoppelt. Entscheidend ist, welche Tätigkeiten zu diesen „versprochenen Diensten“ zu zählen sind. Mit dieser Frage hat sich die Rechtsprechung regelmäßig zu beschäftigen.

Arbeitszeitbegriff im Arbeitsschutzrecht

Zur Beantwortung reicht es allerdings nicht, den Arbeitszeitbegriff, der im Arbeitsschutzrecht gilt, zugrunde zu legen. Dort wird der Begriff der Arbeitszeit in § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG definiert. Danach ist Arbeitszeit die Zeit von Beginn bis Ende der Arbeit ohne Ruhezeiten. Gemeint ist demnach jede Tätigkeit, die vom Arbeitnehmer erbracht wird, und wodurch er seine eigene Zeit nicht mehr zur freien Verfügung hat. Das gilt unabhängig von der Intensität der Beeinträchtigung.

Der Gegenbegriff zur Arbeitszeit ist die Ruhezeit. Als Ruhezeiten sind dabei solche Zeiten anzusehen, die zwischen dem Ende eines Arbeitseinsatzes und dem Wiederbeginn liegen. Ruhezeiten sind dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer selbst bestimmen kann, wo er sich aufhält und wie er die Zeiten nutzt.

Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn

In vergütungsrechtlicher Hinsicht bedarf es jedoch einer differenzierteren Anknüpfung. Im Sinne des Vergütungsrechts ist Arbeitszeit jede Tätigkeit, in welcher der Arbeitnehmer dem Bedürfnis des Arbeitgebers nachkommt.

Dafür wird zunächst zwischen Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen und im arbeitszeitrechtlichen Sinne unterschieden.

Die vergütungsrechtliche Arbeitszeit knüpft ebenso wie der arbeitsschutzrechtliche Begriff an die Vergütungspflicht für die tatsächliche Leistung der versprochenen Dienste an. Gemeint sind demnach die Zeiten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stehen (so genannte „Vollarbeit“). Die Vollarbeit ist somit das Minimum dessen, was vergütet werden muss.

Arbeitszeit im arbeitsrechtlichen Sinn

Zu den „versprochenen Diensten“ im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB darf aber nicht nur die eigentliche „Kerntätigkeit“ zählen. Wenn der Arbeitgeber im Zusammenhang mit der „Kerntätigkeit“ darüber hinaus weiteres Tätigwerden verlangt, muss sich dies ebenfalls in der Vergütung niederschlagen.

Liegt ein Zusammenhang mit der Haupttätigkeit vor und erfolgt das Tätigwerden primär im Interesse des Arbeitgebers, spricht man deswegen von arbeitszeitrechtlicher Arbeitszeit (BAG 25. April 2018 - 5AZR 424/17).

Beispiele dafür sind die Arbeitsbereitschaft, der Bereitschaftsdienst sowie die Rufbereitschaft. Die Entscheidung, ob – und wenn ja in welcher Intensität - ein solcher Zusammenhang besteht, ist mitunter schwierig zu differenzieren und hängt stark vom Einzelfall ab. In der Rechtsprechung sind mit der Zeit deswegen Fallgruppen entstanden, die Abstufungen in der Tätigkeitsintensität unterscheiden.

Zwischenformen: Arbeitsbereitschaft – Bereitschaftsdienst – Rufbereitschaft

1. Arbeitsbereitschaft

Arbeitsbereitschaft liegt vor, wenn sich der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz aufhält und je nach Bedarf von sich aus jederzeit die Arbeit aufnehmen muss, falls das erforderlich ist. Das Bundesar­beitsgericht hat die Arbeitsbereitschaft daher definiert als „Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung“. Die Arbeitsbereitschaft stellt demnach eine – wenn auch gegenüber der Vollarbeit verminderte – Leistung des Arbeitnehmers dar, so dass ein vergütungsrechtlicher Anspruch besteht.

Beispiel für Arbeitsbereitschaft: Der Fahrer eines Taxis, der nur gelegentlich Kunden transportiert. Dieser ist während der Standzeiten in Arbeitsbereitschaft.

2. Bereitschaftsdienst

Der Bereitschaftsdienst bezeichnet solche Zeiten, in denen sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhält, um die Arbeit jederzeit aufnehmen zu können. Er muss jedoch nicht sofort zur Arbeitsaufnahme bereit sein, sondern kann lesen, schlafen, fernsehen etc.

Ob der Bereitschaftsdienst als vergütungsrechtliche Arbeitszeit einzustufen ist, hängt davon ab, welche Reaktionszeit der Arbeitgeber vom Mitarbeiter für die Arbeitsaufnahme verlangt. Kurz bemessene Zeiträume zur Reaktion führen dazu, dass es sich bei dem Bereitschaftsdienst um vergütungsrechtliche Arbeitszeit handelt (Schlussanträge des Generalanwalts vom 06. Oktober 2020 im Verfahren am EuGH AZ: C-580/19).

Beispielsweise entschied der Europäische Gerichtshof folgendes: Unterliegt ein Arbeitnehmer der Verpflichtung, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten, wodurch die Möglichkeit, anderen Tätigkeiten nachzugehen, erheblich eingeschränkt ist, ist dies als Arbeitszeit anzusehen, die zu vergüten ist (EuGH 2018 AZ: C-518/15).

3. Rufbereitschaft

Eine Sonderform des Bereitschaftsdienstes ist die Rufbereitschaft. In diesem Fall ist die Anwesenheit des Arbeitnehmers nicht erforderlich. Er muss lediglich erreichbar sein. Den Ort, an dem sich der Arbeitnehmer während dieser Zeit aufhält, kann er selbst wählen.

Rufbereitschaft ist deswegen keine Arbeitszeit nach § 2 Abs. 1 S.1 ArbZG, solange niemand anruft. Ein Anspruch auf Vergütung besteht auch erst dann, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich zur Dienstaufnahme gerufen wird.

Sobald der Arbeitgeber jedoch verlangt, dass der Arbeitnehmer für betriebliche Zwecke „innerhalb kürzester Zeit“ zur Verfügung steht, ist dies anders zu bewerten. Muss der Arbeitnehmer demnach spätestens innerhalb von 15 bis 20 Minuten am Dienstort sein, kann der Arbeitnehmer im Ergebnis nicht frei über seine Zeit verfügen (Urteil des LAG Rheinland-Pfalz (AZ 11 Sa 81/12). Die Rufbereitschaft ist dann zu vergüten, wenn der Arbeitgeber in sehr großem Umfang darauf einwirkt, inwieweit der Arbeitnehmer seine Zeit gestalten kann. Dabei gilt ähnliches wie beim Bereitschaftsdienst: Wenn der Arbeitnehmer seine Zeit nicht frei gestalten kann, weil er jederzeit damit rechnen muss den Dienst antreten zu müssen, muss dies vergütet werden.

Vergütungsumfang

Mit der Einordnung als „versprochener Dienst“ im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB ist aber noch nicht geklärt, in welchem Umfang die dafür vom Arbeitnehmer aufgewendete Zeit zu vergüten ist. Anders als die Arbeitszeit nach dem Arbeitsschutzrecht ist die vergütungsrechtliche Arbeitszeit dispositiv. Das bedeutet, dass durch Arbeits- und Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche „Kerntätigkeit“ getroffen werden kann (LAG Mecklenburg, Urteil vom 15. September 2020; AZ: 5 Sa 188/19).

Eine Pauschalierung ist ebenso zulässig wie eine gegenüber der Vollarbeitszeit geringere Vergütung oder die Gewährung eines Freizeitausgleichs. Fehlt es an einer individuellen oder kollektiven Vereinbarung, so ist nach § 612 Abs. 2 BGB die Vergütungshöhe nach einer gegebenen Taxe, in Ermangelung einer Taxe die „übliche Vergütung“, als vereinbart anzusehen. „Üblich“ ist der Durchschnitt derjenigen Vergütung, die am gleichen Ort für vergleichbare Tätigkeiten bezahlt wird. Bestehen für bestimmte Branchen oder Regionen tarifliche Regelungen, sind diese als üblich anzusehen.

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