Arbeitsschutz und Digitalisierung – ein Widerspruch in sich?

 

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Von: Katja Hedke, Dipl.-Ingenieurin, Systemische Arbeitsschutzberaterin

Wenn die Begriffe Digitalisierung, Arbeiten 4.0, Künstliche Intelligenz (KI) fallen, schrillen bei allen, die sich den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten auf die Fahnen geschrieben haben, erst einmal die Alarmglocken. Gerade in der Betriebsratsarbeit schauen wir kritisch auf gesundheitliche und psychische Belastungen und sorgen uns um diejenigen, die mit den schnell voranschreitenden Veränderungen und den damit verbundenen Anforderungen nicht zurechtkommen.

Aber ist diese erste negative Eingebung tatsächlich gerechtfertigt?

Oder können wir den Spieß ganz einfach umdrehen, indem wir uns die Instrumente der Digitalisierung zunutze machen und Arbeitsprozesse mit Hilfe von KI und Co. gesünder gestalten?

Wie meistens gibt es nicht nur schwarz oder weiß. Ein verantwortungsbewusster Arbeitsschutz 4.0 muss sowohl die Gefahren als auch die Chancen der Digitalisierung betrachten. Die Digitalisierung ist nicht mehr neu und durchzieht unseren Arbeitsalltag bereits mehr oder weniger intensiv. Sicherlich kennen Sie neben den nun folgenden Beispielen zahlreiche weitere.

Beispiele negativer Folgen der Digitalisierung

1. Entgrenzung und weitere Nachteile durch zeit- und ortsflexibles Arbeiten

Die Stichworte mobiles Arbeiten und Homeoffice sind in aller Munde. Für viele heißt die Möglichkeit, nicht mehr nur vom festen Arbeitsplatz im Unternehmen zu arbeiten, dass auch die Arbeitszeiten nicht starr vorgegeben sind. Dies kann dazu führen, dass die Trennung von Beruflichem und Freizeit und Privatleben Schwierigkeiten bereitet. Ruhepausen werden oft nicht eingehalten und das Abschalten nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub fällt nicht leicht, wenn E-Mails und Anrufe im heimischen Wohnzimmer landen. Fehlende Erholungsphasen und -orte führen zu Stress mit den entsprechenden negativen Folgen für die psychische Gesundheit

Ein weiterer Punkt ist der Wegfall des ergonomisch optimierten Arbeitsplatzes. Falls kein eigenes Arbeitszimmer mit gut ausgestattetem Bildschirmarbeitsplatz vorhanden ist, behilft man sich mit dem Laptop auf dem Sofa oder am Küchentisch.

Außerdem beklagen viele die verlorengehenden sozialen Kontakte, den Smalltalk an der Kaffeemaschine, das spontane Gespräch auf dem Flur. Im Videocall sieht man nicht, ob die Kollegin blass um die Nase ist oder der Kollege ungewöhnlich still wirkt.
 

2. Komplexe Arbeitsprozesse stellen hohe Anforderungen

Digitale Arbeit ist geprägt durch Schnelligkeit und Aufgabendichte. Von den Mitarbeitenden verlangt dies multitaskingfähig zu sein, der Einzelne hat weniger Einfluss auf das Arbeitstempo oder die Reihenfolge der Aufgabenerledigung. Diese Belastung wird von vielen als stressig empfunden. Die einzelnen Beschäftigten sind selten in vollständige Abläufe involviert, was nachweislich die Arbeitszufriedenheit verringert.

Der Umgang mit den neuen Technologien muss erlernt werden und das - aufgrund der schnellen Weiterentwicklung - fortwährend. Manche können und andere wollen dies nicht.

Da sind einerseits die Älteren der Belegschaft, die noch nicht mit den digitalen Medien groß geworden sind. Zum anderen gibt es auch Arbeitsbereiche (zum Beispiel soziale und kreative Berufe), in denen die Menschen andere Interessensschwerpunkte haben und eine geringere Affinität zur Digitalisierung besteht. Nicht jeder sieht sich in der Rolle eines „IT-Experten“.

Beispiele für Chancen, die die Digitalisierung speziell für den Arbeits- und Gesundheitsschutz bietet

1. Flexibilität durch zeit- und ortsflexibles Arbeiten

Das Homeoffice bzw. das mobile Arbeiten gehört zu den beliebtesten Errungenschaften aus der Coronazeit. Beschäftigte schätzen es, ohne Zeitverlust durch den Arbeitsweg mit einem Click direkt vom Frühstückstisch in den Arbeitstag zu starten. In den Pausen lassen sich private Dinge erledigen, für die man sonst eventuell einen Urlaubstag einreichen musste. Für Eltern kleiner Kinder oder auch pflegende Angehörige ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie so manchmal erst möglich.

Durch das Einsparen der Fahrzeiten lassen sich pro Woche leicht 10 Stunden und mehr an Freizeit gewinnen. Der positive Effekt für die Work-Life-Balance ist enorm. Zusätzlich führt es in der Regel zu einer Kosteneinsparung, wenn auf die Fahrten zum Arbeitsplatz verzichtet werden kann. Nicht zuletzt bringt es positive Effekte für den Umwelt- und Klimaschutz mit sich.

2. Assistenzsysteme nutzen

Verschiedene Assistenzsysteme können eigesetzt werden, um Unfälle zu vermeiden und Arbeitsbedingungen zu verbessern.

  • Ergonomische Assistenzsysteme:

Mitarbeitende werden erkannt und die Einstellung des Arbeitsplatzes (z. B. Tischhöhe, Lenkradeinstellung) an die ergonomischen Anforderungen erfolgt selbsttätig.

  • Sensorbasierte Assistenzsysteme:

Sobald sich eine Person in eine Gefahrenzone begibt nimmt ein Sensor dies wahr und es erfolgt eine Warnung oder auch eine Maschinenabschaltung.

Während Simulationstechnologien (z. B. virtuelle Realität mittels VR-Brillen, wo Gefahrensituationen durchgespielt werden können, ohne sich einer echten Gefahr auszusetzen) noch nicht überall eingesetzt werden, sind Warnsysteme wie verknüpfte Rauchmelder und Feueralarme schon weit verbreitet.

Zusammenfassend kann man sagen, dass guter Arbeitsschutz 4.0 im nicht aufzuhaltenden Fortschreiten der Digitalisierung bedeutet, beide Seiten, die Gefährdungen wie auch die Chancen, frühzeitig zu erkennen. Die komplexen Prozesse bieten seltener Gelegenheit für kurzfristige, nachträgliche Korrekturen von Fehlentscheidungen. Prävention ist also von entscheidender Bedeutung, um die richtigen Entscheidungen im Vorfeld zu treffen.

Daher informieren Sie sich und halten sich auf dem aktuellen Stand, damit Sie der digitalen Zukunft gelassen entgegensehen können!