Mitbestimmung bei der Gefährdungsbeurteilung

 

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1. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht sowohl bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG als auch bei der Unterweisung der Beschäftigten nach § 12 ArbSchG.

2. Die Beauftragung eines Dritten mit der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung im Sinne des § 5 ArbSchG und der Unterweisung der Beschäftigten im Sinne des § 12 Abs. 1 ArbSchG nach § 13 Abs. 2 ArbSchG ändert nichts daran, dass bei der Umsetzung dieser gesetzlichen Handlungspflichten ein Handlungsspielraum besteht, bei dessen Ausfüllung der Betriebsrat im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer zu beteiligen ist. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und entfällt allenfalls dann, soweit etwa eine verbindliche behördliche Anordnung vorliegt, die keinen Handlungsspielraum belässt.

BAG, Beschluss vom 30. September 2014 – 1 ABR 106/12

Der Fall:

Arbeitgeber und Betriebsrat streiten darüber, ob der Betriebsrat bei der Durchführung der auf einen externen Dienstleister übertragenen Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen hat.

Der Arbeitgeber, ein Logistikunternehmen, schloss mit einem externen Dienstleister einen Vertrag über die Erbringung sicherheitstechnischer Dienstleistungen nach § 6 ASiG ab. Bestandteil der übertragenen Aufgaben war auch die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung durch den Dienstleister. Der Betriebsrat legte dem Arbeitgeber den Entwurf einer Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Gesundheitsförderung vor, die auch Regelungen über die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung enthielt. Der Arbeitgeber lehnte diese Betriebsvereinbarung mit der Begründung ab, aufgrund der Beauftragung eines externen Dienstleisters mit der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung stehe dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht bei deren Durchführung zu, denn der beauftragte Dienstleister habe die Gefährdungsbeurteilung und die Unterwiesung in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Der Betriebsrat rief daraufhin die Einigungsstelle an. Der Arbeitgeber konterte mit der Einleitung eines Beschlussverfahrens, in dem er beantragte, festzustellen, dass der Betriebsrat bei der eigenverantwortlichen Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung durch den beauftragten Dienstleister im Betrieb des Arbeitgebers kein Mitbestimmungsrecht hat. Das Arbeitsgericht Würzburg und das Landgericht Nürnberg haben den Feststellungsantrag abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Entscheidungen bestätigt.

Die Lösung:

Das Bundesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung bekräftigt, dass der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht sowohl bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG als auch bei der Unterweisung der Beschäftigten nach § 12 ArbSchG hat. §§ 5 und 12 ArbSchG sind Rahmenvorschriften über den Gesundheitsschutz, die dem Arbeitgeber Handlungsspielräume bei der Umsetzung lassen. Bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG bestehen solche Spielräume etwa bei den Festlegungen, welche Arbeitsplätze mit welchen Methoden auf welche Gefahrenursachen hin in welchem Zeitablauf untersucht werden sollen. Bei § 12 Arbeitsschutzgesetz müssen insbesondere Art, Umfang und der konkrete Inhalt der Unterweisung festgelegt werden.

Das BAG hat weiter ausgeführt, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Arbeitgeber einen externen Dienstleister mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung nach §§ 5, 12 ArbSchG beauftragt hat, und dies wie folgt begründet:  

(1) Der Arbeitgeber kann sich in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Dritten gegenüber grundsätzlich nicht in einer Weise binden, die die Mitregelungsbefugnis des Betriebsrats faktisch ausschließen würde. Er muss vielmehr durch eine entsprechende Vertragsgestaltung mit dem Dritten sicherstellen, dass die ordnungsgemäße Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts gewährleistet ist.

(2) Auch die nach § 13 Abs. 2 ArbSchG mögliche Beauftragung von Dritten mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung schließt das bei der Durchführung dieser Aufgaben bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht aus. Zwar kann der Arbeitgeber nach § 13 Abs. 2 ArbSchG zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm obliegende Aufgaben nach dem ArbSchG, d. h. auch die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG und die Unterweisung nach § 12 ArbSchG, in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Die Delegation der Aufgaben der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung auf Dritte ändert jedoch nichts daran, dass der Arbeitgeber nach § 13 Abs. 1 ArbSchG neben den beauftragten Personen für die Erfüllung dieser Aufgaben öffentlichrechtlich verantwortlich bleibt. Auf die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG wirkt sich die „Externalisierung“ von Arbeitsschutzpflichten nach § 13 Abs. 2 ArbSchG nicht aus, denn die Beauftragung eines Dritten mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung nach §§ 5, 12 ArbSchG ändert nichts daran, dass bei der Umsetzung dieser gesetzlichen Handlungspflichten ein Handlungsspielraum besteht, bei dessen Ausfüllung der Betriebsrat im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer zu beteiligen ist.

Hinweis für die Praxis:

Das BAG hat damit die Streitfrage geklärt, ob der Betriebsrat bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung auch dann mitzubestimmen hat, wenn der Arbeitgeber diese Aufgaben (mitbestimmungsfrei) nach § 13 Abs. 2 ArbSchG auf einen externen Dritten (z. B. einen überbetrieblichen sicherheitstechnischen oder arbeitsmedizinischen Dienst) übertragen hat. 

Diese Frage ist durch einen Beschluss des BAG vom 18.08.2009 (1 ABR 43/08) ausgelöst worden. Das BAG hat dort entschieden, dass der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat, wenn der Arbeitgeber externe Personen oder Stellen mit der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen oder Unterweisungen beauftragt. Zur Begründung hat das BAG ausgeführt, dass es sich bei der durch § 13 Abs. 2 ArbSchG eröffneten Möglichkeit des Arbeitgebers, zuverlässige und fachkundige Dritte mit Arbeitsschutzaufgaben zu beauftragen, typischerweise um eine personelle Einzelmaßnahme handelt, die nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG unterliegt.

Die Arbeitgeberseite hat diese Entscheidung des BAG so interpretiert, dass die Gefährdungsbeurteilung bzw. Unterweisung der Mitbestimmung des Betriebsrats vollständig entzogen ist, wenn der Arbeitgeber externe Personen oder Stellen mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung bzw. Unterweisung beauftragt hat.

In der Folgezeit haben das LAG Schleswig-Holstein (Beschluss vom 08.02.2012 – 6 TaBV 47/11), das LAG Köln (Beschluss vom 28.06.2012 – 4 TaBV 17/12) und das LAG Nürnberg (Beschluss vom 29.05.2012 – 7 TaBV 61/11) entschieden, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung durch die (mitbestimmungsfreie) Übertragung der Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung auf (externe) Dritte (z. B. einen überbetrieblichen Dienst von Betriebsärzten oder Fachkräften für Arbeitssicherheit) nicht ausgeschlossen wird. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob die Aufgabenübertragung vor oder nach der Geltendmachung des Mitbestimmungsrechts durch den Betriebsrat erfolgt ist.

Das BAG hat nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die Frage, wie die Gefährdungsbeurteilung bzw. Unterweisung durchzuführen ist, unabhängig davon, ob sie von internen oder externen Personen bzw. Stellen durchgeführt wird, der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG unterliegt. Die (mitbestimmungsfreie) Beauftragung externer Dritter mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung bzw. Unterweisung nach § 13 Abs. 2 ArbSchG führt deshalb nicht zu einem Wegfall bzw. einer Verkürzung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Entscheidung über die Ausgestaltung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung bzw. der Unterweisung.

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