Die Einigungsstelle - kein „Buch mit sieben Siegeln“

 

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Autor: Dr. Lothar Beseler

Bekanntlich ist die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber auf Dialog angelegt und fußt auf dem Gedanken der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“. Bei einem Streit zwischen den Betriebsparteien wird deshalb in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle eine sachgerechte Lösung gefunden. Doch gelegentlich hakt es. Der Betriebsrat möchte endlich einmal Entlohnungsgrundsätze durchsetzen und damit erreichen, dass  bei der Gehaltsfindung der Grundsatz der Gleichbehandlung realisiert wird und nicht Mitarbeiter*innen mit gleichem Aufgabenbereich unterschiedlich bezahlt werden. Oder bei einer Betriebsänderung kann sich der Betriebsrat den Vorstellungen des Arbeitgebers über den Umfang eines Sozialplans nicht anschließen und der Arbeitgeber ist auch nicht bereit, etwas zuzulegen. In einem solchen Fall kann die Einigungsstelle nach § 76 BetrVG den Konflikt lösen.

Stellen wir uns vor, der Betriebsrat möchte nach mehreren vergeblichen Anläufen erreichen, dass Entlohnungsgrundsätze nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gemeinsam mit dem Arbeitgeber festgelegt werden.  Geht der Arbeitgeber nicht auf die Vorstellungen des Betriebsrats ein, kann der Betriebsrat die Verhandlungen für gescheitert erklären und beschließen, dass nunmehr die Einigungsstelle über die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen entscheidet. 

Die Einigungsstelle besteht auf einem unabhängigen Vorsitzenden und aus Beisitzern, die in gleicher Anzahl von dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat benannt werden.

Zu Vorsitzenden einer Einigungsstelle nach dem BetrVG werden meist aktive oder ehemalige Berufsrichter der Arbeitsgerichtsbarkeit  benannt, weil sie die Gewähr bieten, neutral zu sein und die notwendige Kenntnis vom Arbeitsleben zu besitzen.  Die Betriebsparteien müssen sich auf einen geeignete/n Vorsitzende/n einigen. Im Regelfall kennen Betriebsräte Arbeitsrichter*innen aus den von ihnen besuchten Seminaren oder sie fragen ihre/n Gewerkschaftssekretär*in oder Rechtsanwalt/Rechtsanwältin, wen diese als geeignet ansehen. Das gleiche wird der Arbeitgeber über seinen Arbeitgeberverband oder seine/n Rechtsanwalt/Rechtsanwältin erfragen.  In der Praxis kommt es häufiger vor, dass ein/e vorgeschlagene/r Arbeitsrichter*in nur deshalb von der anderen Seite abgelehnt wird, nur weil er/sie von der jeweils anderen Seite benannt wird und der im Regelfall unbegründete Verdacht besteht, dass er/sie einseitig die Interessen der Seite vertreten wird, die ihn/sie vorgeschlagen hat. In einem solchen Fall kann jede Seite – hier der Betriebsrat – sich an das zuständige Arbeitsgericht wenden. Hierfür ist anwaltliche Vertretung nicht notwendig. Denn jedes Arbeitsgericht hat eine Rechtsantragstelle,  an die sich der/die Betriebsratsvorsitzende wenden kann. Der/die Kammervorsitzende wird dann in einem Gerichtstermin dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber einen Kompromissvorschlag unterbreiten oder z. B. selbst eine/n Arbeitsrichter*in eines anderen Arbeitsgerichts einsetzen.

Auch über die Anzahl der jeweils zu benennen Beisitzer müssen sich beide Seite einigen. Im Regelfall einigen sie sich auf jeweils zwei, wobei z. B. ein Beisitzer des Betriebsrats ein Rechtsanwalt oder Gewerkschaftsekretär sein kann, der die notwendige Rechtskunde in das Verfahren einbringt. Aber das ist nicht „in Stein gemeißelt“. Der Betriebsrat kann auch zwei seiner Mitglieder oder andere Arbeitnehmer*innen benennen. Die Beisitzer des Betriebsrats kennen häufig schon den Streitfall, sie können und werden zunächst einseitig in der Einigungsstelle die Interessen ihrer Partei vertreten, sie sind aber keinen Weisungen unterworfen.

 

Ist der Vorsitz der Einigungsstelle benannt, wird er/sie beide Betriebsparteien auffordern, den Sach- und Streitgegenstand schriftsätzlich zu schildern. Diese Unterlagen übersendet der/die Vorsitzende der jeweiligen Gegenseite und auch den Beisitzern, die damit den gleichen Informationsstand haben wie der/die Vorsitzende.  Sodann wird er/sie nach Rücksprache mit beiden Betriebsparteien den Sitzungsort und den Sitzungstermin festlegen.

Im Termin wird der/die Vorsitzende den Sachverhalt weiter aufklären und die Streitfragen herausarbeiten. Er/sie wird im Regelfall noch nicht die eigene Meinung äußern, sondern versuchen, eine Einigung zwischen den streitenden Parteien herbeizuführen.  Manchmal bietet es sich für den/die Vorsitzende/n an, beide Seiten in getrennten Gesprächen „ins Gebet zu nehmen“ und Kompromisslinien zu ermitteln. Mit Mühe und Einfallsreichtum des/der Vorsitzenden und natürlich auch der Beisitzer, die aufgerufen sind, ebenfalls an einer Einigung mitzuwirken, kann es – vielleicht erst in einer Nachtsitzung – zu einer vergleichsweisen Lösung und damit z. B. zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung kommen. Klappt das nicht, wird evtl. der/die Vorsitzende selbst einen Vorschlag erarbeiten, in dem sich möglichst beide Seiten wiederfinden. Zunächst haben über diesen Vorschlag die Beisitzer abzustimmen. Wieder von einer Seite abgelehnt, kommt es nach einer Zwischenberatung nochmals zur Abstimmung mit der Stimme des/der Vorsitzenden, der/die damit seinem/ihrem Vorschlag zur Mehrheit verhilft. Dieser „Spruch“ wird dann – von dem/der Vorsitzenden unterschrieben - ohne weitere Begründung beiden Betriebsparteien zugestellt. Er kann dann von den Betriebsparteien mit einer Frist von zwei Wochen beim Arbeitsgericht wegen Verstoßes gegen Gesetze oder wegen Überschreitung des Ermessensspielraums, den die Einigungsstelle hat, anfochten werden.

Natürlich kostet das Einigungsstellenverfahren Geld. Der/die Vorsitzende bekommt – ausgehend von der Schwierigkeit und dem Umfang des Verfahrens - je Stunde ca. 200 bis 400 € oder einen Tagessatz von 2.500 bis 3.000 €, die externen Beisitzer davon 7/10, auf die sich der/die Vorsitzende mit dem Arbeitgeber nach Rücksprache mit dessen Rechtsbeistand einigt oder die notfalls vom Arbeitsgericht festgesetzt werden. Sämtliche Kosten trägt der Arbeitgeber.

Übrigens: Das Einigungsstellenverfahren unterliegt keinen Fristen. Im Regelfall wird der/die Vorsitzende zügig mit dem  Verfahren beginnen, das sich aber bei komplexen Themen über längere Zeit hinziehen kann.

Zusammengefasst ist das Einigungsstellenverfahren also kein „Buch mit sieben Siegeln“. Aber noch besser ist es, wenn der Betriebsrat und der Arbeitgeber es nicht so weit kommen lassen. Bei gutem Willen auf allen Seiten kommt es meist auch ohne Einigungsstelle zu sachgerechten Lösungen.