Streit um Beschäftigungsquote und Ausgleichsabgabe

 

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Das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen (SchwbBAG) (1)  hat die Soll-Quote von 6% auf 5 % abgesenkt, zunächst nur befristet vom 01.01.2001 bis zum 31.12.2002. Dem lag eine scherenartige Entwicklung zugrunde. Die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen war von 1981 bis 1998 von 94.000 auf 180.500 und bis Oktober 1999 auf 189.766 gestiegen (2). Im gleichen Zeitraum war die Ist-Quote der Schwerbehindertenbeschäftigung von 5,9 % auf 3,8 % gesunken (3).  Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, bis spätestens 31.10.2002 die Arbeitslosigkeit um 25%, also um etwa 50.000, abzubauen (4).  Als Anreiz zur Zielerreichung sollten private Unternehmen und der öffentliche Dienst der Länder und Gemeinden mit einem Junktim („wenn Ziel erreicht, dann wird Absenkung endgültig“)  veranlasst werden, mehr schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Das Abbauziel ist mit  23,9% fast erreicht worden. Am 1. Oktober 2002 betrug die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen nämlich nur noch 144.292 (5).  Forscher vermuten jedoch, dass der Rückgang nur zu einem geringen Teil auf Einstellung, sondern vor allem auf verstärkte Frühpensionierungen zurückzuführen war (6). 

Das in § 71 Abs. 2 SGB IX enthaltene Junktim ist durch das SGB IX Änderungsgesetz mit dem schönfärberischen Namen „Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen“ vom 23.04.2004 (7)  rückwirkend aufgehoben worden. Das geschah, obwohl von November 2002 bis April 2003 die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen wieder auf 171.293 angestiegen war (8).  Dieser Trend hat sich später fortgesetzt. Dennoch ist die Bundesregierung in den nach § 160 Abs. 2 SGB IX 2007 vorgelegten Berichten nicht zu dem Ergebnis gelangt, die Absenkung der Soll-Quote wieder rückgängig zu machen (9).  Das ist kritisiert worden, denn die Berichterstattung lasse unerwähnt, dass die Absenkung der Beschäftigungsquote von 6% auf 5% arbeitsmarktpolitisch keine Wende gebracht, sondern die Mittel des Ausgleichsfonds erheblich strapaziert habe. Angesichts von 197.000 schwerbehinderten Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 2006 gemeldeten 197.000 schwerbehinderten Arbeitslosen, hätte die Beschäftigungsquote wieder auf 6% angehoben werden müssen (10).  

Auch wenn anzuerkennen ist, dass die Anzahl der Arbeitsplätze, an denen schwerbehinderte Menschen beschäftigt werden, in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist, blieb die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen ist zurzeit die für 2002 gezogenen Höchstlinie von 150 000 schwerbehinderten Arbeitslosen weit überschritten. So waren 2014  im Jahresdurchschnitt 181.110 schwerbehinderte Menschen arbeitslos (11). Das waren sogar, entgegen dem allgemeinen Trend in der Arbeitslosigkeit, ein Anstieg von 1,4 Prozent (2.478 Personen) im Verhältnis zu  2013 (12).   

Die von dem BMAS an den Tag gelegte Untätigkeit hat jetzt Finanzminister Wolfgang Schäuble bemerkt (13).  Er will die Ausgleichsabgaben für Unternehmen verdoppeln, wenn sie nicht genügend Schwerbehinderte beschäftigen. Sie soll von derzeit durchschnittlich  rund 2000 € je unbesetzten Pflichtarbeitsplatz (bezogen auf die Gesamtzahl der beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber) auf rund 4000 € pro Jahr steigen. So stiege das Aufkommen aus der Abgabe von derzeit rund 500 Millionen € auf eine Milliarde €. Das würde den beschäftigten schwerbehinderten Menschen und ihren Arbeitgebern spürbar helfen, denn die Integrationsämter könnten die Leistungen für die Einrichtung behinderungsgerechter Arbeitsplätze ausweiten. Das BMAS, das über Schäubles Unterstützung zur Herstellung eines inklusiven Marktes an sich erfreut sein sollte,  reagierte reserviert. Der Spiegel vermutet, nach dem Ärger um den Mindestlohn und die Arbeitsstättenverordnung wollen die Beamten im BMAS das Verhältnis zu den Arbeitgeberverbänden nicht weiter belasten (14).  Es bleibt zu hoffen, dass der Finanzminister auch hart bleibt, wenn ihm klar wird, dass die erhöhte Ausgleichsabgabe  nicht in den Staatshaushalt sondern in die Kasse der Integrationsämter fließt.

1) Überblick in: Düwell, „Mehr Rechte für die Schwerbehinderten und ihre Vertretungen durch das SchwbBAG“, BB 2000, 2570
2) BR-Drucks. 298/00 S. 28
3) „Arbeitsmarkt in Zahlen“, Beschäftigung Schwerbehinderter 1998, Statistik aus dem Anzeigeverfahren gemäß §13 Abs. 2 SchwbG, herausgegeben von BA Referat III a 5 o. J.
4) vgl. BT-Drucks. 14/3372, S. 15
5) BT-Drs. 14/1295 S.3
6) Braackmann, Wirkungen der Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Arbeitnehmer- Erkenntnisse aus der Einführung des Gesetzes zur Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter, Leuphania Universität Lüneburg, 2007 S.2
7) BGBl 2004 I, 606
8) Statistische Auswertung BA Referat III b 3 Arbeitslose Schwerbehinderte April 2003.
9) Bericht der Bundesregierung nach § 160 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) über die Beschäftigungssicherung schwerbehinderter Menschen, BT-Drs. 15/1295; Bericht der Bundesregierung über die Situation behinderter und schwerbehinderter Frauen und Männer auf dem Ausbildungsstellenmarkt, BT-Drs. 15/5922 bzw. BR-Drs. 570/05; Bericht der Bundesregierung über die Wirkungen der Instrumente zur Sicherung von Beschäftigung und zur betrieblichen Prävention, BT-Drs. 16/6044; kritische Bewertung durch Lachwitz, RdLH 2007, Nr. 2, 3 ff.
10) Lachwitz, RdLH 2007, Nr. 2, 3 ff.
11) BA, Arbeitsmarktberichterstattung, Juli 2014, Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Die Arbeitsmarktsituation von langzeitarbeitslosen Menschen veröffentlicht unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Personengruppen/generische-Publikationen/Langzeitarbeitslosigkeit-2014-07.pdf
12) BA, Arbeitsmarktberichterstattung, Juli 2014, Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Die Arbeitsmarktsituation von langzeitarbeitslosen Menschen veröffentlicht unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Personengruppen/generische-Publikationen/Langzeitarbeitslosigkeit-2014-07.pdf
13) Spiegel Heft 30/2015
14) http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/wolfgang-schaeuble-will-strafen-fuer-unternehmen-verdoppeln-a-1044167.html

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