Das eigene Profil der Schwerbehindertenvertretung

 

730x300 Frau im Gespräch mit zwei anderen

Die Vertrauensperson – an der Seite, aber nicht im Schatten des Betriebsrats

Karl G. ist seit vielen Jahren im Betriebsrat. Nach längerer Krankheit und den Erfahrungen, die er nach seiner Rückkehr und während der Wiedereingliederungsphase gemacht hat, hatte sich sein Blick auf die Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen gewandelt. In der vorigen Wahlperiode bewarb er sich daher zusätzlich zu seinem BR-Mandat um das Amt der stellvertretenden Vertrauensperson. Bei den letzten SBV-Wahlen, November 2018, hat er sich als Nachfolger der ausscheidenden Vertrauensperson in dieses Amt wählen lassen. Noch ist er auch Betriebsratsmitglied, möchte aber bei der nächsten BR-Wahl nicht mehr antreten. Warum? Ist BR und SBV in einer Hand nicht eine geradezu ideale Kombination?

Die Zusammenarbeit des BR mit dem Arbeitgeber war und ist nicht spannungsfrei. Karl war, bevor er zur Vertrauensperson gewählt wurde, langjähriger Vorsitzender des Betriebsausschusses. Außerdem hat er als BR schon in einigen BEM-Verfahren mitgewirkt. Sein persönliches, engagiertes Eintreten für die Interessen und die Rechte der Kolleginnen und Kollegen - auch in Betriebsversammlungen - brachte ihm von Arbeitgeberseite nicht nur Lob und Dank ein.

Seitdem er nun hauptamtlich Vertrauensperson der behinderten Menschen ist, kommt ihm sein Image als kompromissloser BR immer wieder in die Quere. Er tut sich schwer, auf „SBV-Modus“ umzuschalten und auch seine Gesprächspartner auf Arbeitgeberseite sehen in ihm nach wie vor primär den Betriebsrat-Kämpfer.

Gewiss, er weiß den betriebsrätlichen „Hebel“ sehr zu schätzen. Aber als SBVler musste er bereits lernen, dass der Gesetzgeber zwar die Ziele und Rechte in der SBV hinreichend beschrieben, die SBV aber nicht mit den gleichen Druck- und Sanktionsmitteln ausgestattet hat wie den BR. Inzwischen versteht Karl seinen Vorgänger besser, dem er manchmal seine Eselsgeduld und Nachgiebigkeit vorgeworfen hatte.

Karl G.s Situation ist kein Sonderfall. Weder ist die Personalunion von SBV- und BR-Mitglied­schaft ungewöhnlich, noch die damit erhöhte Spannung im Verhältnis zum Arbeitgeber.

Was raten wir Karl, wie er mit dieser Konstellation umgehen soll? Wie kann es ihm gelingen, das Verhältnis zum Arbeitgeber zu entspannen, ohne sich untreu zu werden? Schließlich möchte er auch in der neuen Rolle als SBVler erfolgreich sein und etwas bewegen. Schauen wir uns zuerst die SBV als betriebliche Institution an, bevor wir einen Blick auf die persönliche Rollengestaltung der SB-Vertrauensperson werfen.

Die Institution Schwerbehindertenvertretung:

  • Die SBV braucht ein vom Betriebsrat unterscheidbares Profil. Sie ist nicht die Verlängerung des BR-Arms in die „Sondergruppe“ der schwerbehinderten Mitarbeiter hinein. Dieses Profil wächst auf einer eigenständigen Programmatik. Sie lässt sich auf zwei zentrale Begriffe (bzw. zwei Botschaften) fokussieren: Inklusion und Prävention. Beide gründen im Bundesteilhabegesetz (BTHG), darin insbesondere in den Sozialgesetzbüchern (SGB) IX und XII, sowie in der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK, deutsches Recht seit ihrer Ratifizierung 2009, genau vor 10 Jahren). Die Ziele Inklusion und Prävention gelten für alle im Betrieb. Sie sind gerade kein „Exklusivprogramm“ für eine „Sondergruppe“.
     
  • Profilierung und Programmatik der SBV setzen Öffentlichkeit voraus. Öffentlichkeit macht Arbeit: Öffentlichkeitsarbeit! Dazu sind alle Kommunikationsmedien im Betrieb zu nutzen, die digitalen wie die analogen: Intranet, E-Mails, Newsletter, die Schwarzen Bretter, Gedrucktes und regelmäßiger Auftritt der SBV auf Betriebsversammlungen, Teilnahme an allen Sitzungen des BR und seinen Ausschüssen sowie an den 74er-Meetings mit dem AG.
     
  • Profil durch Programm – je konkreter desto besser. Gerne mit langfristiger Zielperspektive: z. B. der „inklusive Betrieb“. Mittelfristig: z. B. enge(re) Zusammenarbeit mit dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement, Schwerpunkt: Prävention. Kurzfristig: z. B. Kontaktpflege zu Führungskräften, in deren Zuständigkeitsbereichen behinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind, mit Beratung und Konfliktmoderation im „Angebot“.
     
  • Falls noch nicht vorhanden: Aufbau eines Inklusionsteams für eine enge Zusammenarbeit von SBV, BR und Arbeitgeber (speziell: mit seinem Inklusionsbeauftragten – gibt es ihn überhaupt schon?). Aufgabe des Inklusionsteams? Eine Inklusionsvereinbarung zu erarbeiten oder – falls zwar vorhanden, aber in der Schublade verschwunden, sie auszugraben – zu aktualisieren und ihre Umsetzung zu planen.
     
  • Kontakte knüpfen bzw. intensivieren zu weiteren internen und externen Kooperationspartnern: intern vor allem zur Personalabteilung, zu den Mitgliedern des BEM-Teams, zu den Abteilungsleitern, zur Sicherheitsfachkraft bzw. zum Sicherheitsbeauftragten und zu den betrieblichen sozialen Diensten (Suchtberater, Frauenbeauftragte), nicht zu vergessen die JAV. Extern zu Integrationsamt, Integrationsfachdienst, Arbeitsagentur, Betriebsarzt/-ärztin, um nur die wichtigsten zu nennen. Wer seine Ansprechpartner persönlich kennt, hat bei Bedarf schnelleren Zugang zu den relevanten Stellen.
     
  • Sorge für ein kollegiales Verhältnis zu den eigenen Stellvertretern in der SBV, zumindest zum/zur ersten Stellvertreter/in [1]. Kollegialität setzt voraus, dass die Stellvertreter in die laufenden Aktivitäten eingebunden sind, insbesondere in die individuellen Betreuungs- und Beratungsfälle, damit sie jederzeit die Amtsfunktion übernehmen können, wenn die Vertrauensperson verhindert ist. Kollegialität setzt auch voraus, dass für die fachliche Kompetenz der Stellvertreter durch Schulungen gesorgt ist.

Das Selbstverständnis der SB-Vertrauensperson:

  • Ihre Vorbildfunktion: Wer selbst (schwer)behindert ist und offen dazu steht (umso mehr, wenn die Behinderung nicht offensichtlich ist), erleichtert es den schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen, zu ihren Beeinträchtigungen zu stehen und ihre Rechte wahrzunehmen. Inklusion setzt voraus, dass „Behinderung“ enttabuisiert und die pauschale Gleichsetzung mit „Minderleistung“ abgebaut wird.
     
  • Ansprechpartner für alle: Vorrangig sind die Funktionen Information, Beratung, fachkundige Hilfestellung (Einbeziehung zuständiger interner und externer Partner).
     
  • Verfahrenssicherheit: Die SBV muss sicher sein können - falls nicht, muss sie sicherstellen -, dass die Verfahren der Beteiligung der SBV den rechtlichen Vorgaben entsprechen. Die Vertrauensperson muss daher die Rechte der SBV nach Gesetz und Rechtsprechung genau kennen. Nur so kann sie, falls nötig, ihre Rechte geltend machen und konkrete Vorschläge zu ihrer Umsetzung in Betrieb und Personalverwaltung machen.
     
  • Auf Augenhöhe mit dem BR und der Geschäftsleitung: Wenn auch die rechtlichen Sanktionsmittel der SBV schwächer ausgelegt sind als die des BR, so rechtfertigt der besonders anspruchsvolle Dienst am Menschen im und für den Betrieb kein geringeres Selbstwertgefühl der SB-Vertrauensperson als jenes von Betriebsräten. Die Kernaufgabe der Vertrauensperson ist es, Menschen mit besonderer gesundheitlicher Belastung fachlich kompetent und menschlich einfühlsam durch schwierige Situationen und Krisen zu begleiten. Dabei bleiben Interessenkonflikte zwischen Mensch und Betrieb selten aus. Realistische Ziele und gangbare Wege zu finden und den Betrieb davon zu überzeugen, gelingt nur einer Persönlichkeit, die von allen Beteiligten, insbesondere von Betriebsrat und Geschäftsleitung, ernst genommen wird. Die besonderen Merkmale einer solchen Persönlichkeit sind Rollenklarheit, offene Kommunikation, Verständnis für gegnerische Prioritäten und Sichtweisen (ohne sie abzuwerten), Flexibilität, gepaart mit Geduld und Beharrlichkeit in der Zielverfolgung - mit einem Wort: Selbstbewusstsein. Dazu gehört jedoch auch die Warnung:
     
  • Sich nicht selbst überfordern! Gerade wer das Amt neu übernimmt und nicht, wie Betriebsräte, im Schoße und Schutz eines Gremiums in die neuen Aufgaben allmählich hineinwachsen kann, muss auch mit sich selbst Geduld haben. Und er muss sich Zeit lassen für jenen Prozess des Learning by doing einschließlich des „Rechts“, Fehler zu machen und solche auch eingestehen zu können. Bei schwierigen Entscheidungen und Lagebeurteilungen ist es dringend zu empfehlen, sich (evtl. von externen Fachleuten - Fachjuristen und erfahrenen Praktikern - oder in einschlägigen Internetforen) beraten zu lassen.

Karl G. ist froh, dass er in dieser Wahlperiode noch Mitglied des BR ist. Er gibt ihm Sicherheit und in seinem Schutz kann er im Gremium die neue Rolle einüben. Dem Arbeitgeber und der Belegschaft gegenüber nimmt er sich vor, jetzt schon die SBV-Rolle deutlich wahrnehmbar zu profilieren. Sie soll künftig quasi „automatisch“ mit seiner Person in Verbindung gebracht werden. Die Rolle des (Noch-)BR-Mitglieds und mit ihr das alte Profil des BR-Fighters dürfen dagegen gerne in der öffentlichen Wahrnehmung etwas in den Hintergrund treten.

 

 [1]  Der Normalfall ist die Einbeziehung des ersten Stellvertreters. Es sind aber auch andere Konstellationen nicht unüblich, z. B. wenn die SBV für einen Flächenbetrieb mit mehreren Standorten zuständig ist, an denen je ein Stellvertreter als Vertrauensperson fungiert.

Wissenswertes für die Schwerbehindertenvertretung

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