Arbeitsunfähigkeit / Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Arbeitsunfähigkeit (AU) heißt nicht etwa, dass man gar nicht mehr arbeiten kann, sondern nur, dass der konkrete Arbeitnehmer seine konkrete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Die Frage, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, lässt sich also nur für jeden Arbeitnehmer einzeln beantworten. Natürlich ist das immer der Fall, wenn akut ein Krankenhausaufenthalt notwendig ist. In anderen Fällen kann eine Krankheit bei dem einen Arbeitnehmer zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, bei einem anderen jedoch nicht. Während eine Halsentzündung bei einem Mitarbeiter der Buchhaltung ohne Kundenkontakt nicht unbedingt zu einer Arbeitsunfähigkeit führen muss, sieht das bei einem Telefonisten im Callcenter ganz anders aus. Eigentlich müsste also der Arzt bei jedem Patienten nach dessen genauer Tätigkeit fragen, bevor er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellt. Arbeitsunfähig zu sein, bedeutet auch nicht zwangsläufig, dass man das Bett hüten müsste. Das hängt von der jeweiligen Krankheit ab. Außerdem müssen Arztbesuche und Einkäufe trotzdem erledigt werden können. Einen Arbeitnehmer trotz Arbeitsunfähigkeit irgendwo anzutreffen ist für den Arbeitgeber für sich genommen noch kein Indiz, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht vorliegt und erst recht kein Grund für eine Abmahnung oder Kündigung.

Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist genau das, was der Name vermuten lässt, nämlich eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit. D.h., dass die Arbeitsunfähigkeit besteht, unabhängig davon, ob eine Bescheinigung vorliegt oder nicht. Deswegen ist auch der Begriff der „Krankschreibung“ so problematisch, da er suggeriert, dass der Arzt darüber entscheidet ob ich arbeitsunfähig bin oder nicht. Das ist jedoch falsch. Die Entscheidung treffe ich selbst in dem Moment, in dem ich mich entscheide zum Arzt zu gehen, da ich mich zu krank fühle, um zu arbeiten. Das ist dann auch der Moment, zu dem ich meinen Arbeitgeber von der Arbeitsunfähigkeit (z.B. durch einen Anruf) in Kenntnis setzen muss (vgl. § 5 Absatz 1 EFZG). Ein erster Anruf nach dem Arztbesuch ist zu spät, wenn der Dienst zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon begonnen hätte. Trotzdem ist ein weiterer Anruf notwendig, um dem Arbeitgeber mitzuteilen, wie lange die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich dauert. Zusätzlich muss ich unter den Voraussetzungen des § 5 Absatz 1 EFZG dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, nämlich dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert. In diesem Fall muss die Bescheinigung spätestens am nächsten Arbeitstag beim Arbeitgeber vorliegen. Das heißt, die Bescheinigung muss an dem Arbeitstag vorliegen, der auf den dritten Kalendertag der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers folgt. Hier gilt der individuelle Schichtplan des Arbeitnehmers.

Beispiel: Ein Arbeitnehmer, der immer Montag bis Freitag arbeitet, erkrankt am Freitag und stellt am Montagmorgen fest, dass er immer noch nicht fit ist. Wenn er dann erst einen Arzt aufsucht, hat der Arbeitnehmer häufig ein Problem, er müsste dem Arbeitgeber noch am gleichen Tag die Bescheinigung bringen, die auch die Arbeitsunfähigkeit am Freitag mit bescheinigt. Noch schlimmer ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer bereits am Mittwoch erkrankt und am folgenden Montag noch nicht wieder arbeitsfähig ist. Denn auch dann ist der auf den dritten Kalendertag der AU folgende Arbeitstag der Montag und es dürfte schwer sein, Am Montag einen Arzt zu finden, der die AU seit Mittwoch bescheinigt.

Wichtig ist jedoch auch, dass der Arbeitgeber die Vorlage der Bescheinigung auch früher verlangen kann. Entweder generell (dann liegt regelmäßig ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nr. 1 BetrVG vor) oder auch in jedem Einzelfall.

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