Was Sie über Vertrauensarbeitszeit wissen sollten

 

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Unsere Wirtschaft und unser Arbeitsmarkt waren selten von stärkerem Wandel betroffen als in diesen Tagen. Mit den durch Globalisierung und Digitalisierung einhergehenden Strukturveränderungen stehen auch immer öfter althergebrachte Arbeitszeitmodelle zur Disposition. Für viele Arbeitnehmer erscheint einerseits die Flexibilisierung dieser Modelle mit dem Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie einer besseren Work-Life-Balance einher zu gehen. Vor allem für viele im internationalen Umfeld agierende Firmen sind weiterhin flexible Arbeitszeiten attraktiv, um ihre Mitarbeiter bedarfsgerechter einsetzen zu können. Darüber hinaus dienen sie im Konkurrenzkampf um qualifizierte Mitarbeiter und bei deren langfristiger Bindung ans Unternehmen als Standortvorteil. Andererseits birgt das Aufweichen fester Arbeitszeiten aber natürlich auch Gefahren, die im Glanze der vermeintlichen Vorzüge der flexiblen Modelle schnell übersehen werden. Ein genauerer Blick auf Vor- und Nachteile ist daher gerade für Betriebsräte im Hinblick auf deren Mitbestimmungsrechte im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsrecht (BetrVG) dringend angezeigt.

Was zum Beispiel bedeutet der seit einigen Jahren immer gängigere Begriff der Vertrauensarbeit für die Beteiligten?

Unter Vertrauensarbeit versteht man ein bislang gesetzlich nicht geregeltes Modell der Arbeitsorganisation, bei dem die Gestaltung und Erfassung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitszeit in der Hand des Arbeitnehmers liegt. Im Vordergrund steht also nicht mehr dessen feste zeitliche Anwesenheit im Betrieb, sondern vielmehr die Erledigung spezifischer Aufgaben in einem gewissen Zeitrahmen auf Grundlage einer Zielvereinbarung. Wann der Mitarbeiter die dazu anfallenden Arbeiten bewältigt, kann er eigenverantwortlich selbst entscheiden. Vertrauensarbeit verändert also nicht eine arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit von - je nach Vereinbarung - zum Beispiel 40 Stunden in der Woche an sich. Der Arbeitnehmer ist lediglich in der Einteilung dieser Arbeitszeit frei. Er kann also kommen und gehen, wann er will und kümmert sich auch selbst um deren Dokumentation.

Soweit mit Urteil des EuGH vom 14.05.2019 - C-55/18 zur zwingenden Notwendigkeit der Nutzung von Zeiterfassungssystemen durch den Arbeitgeber zunächst viele Kommentatoren von einem Ende der Vertrauensarbeit im europäischen Raum ausgingen, vertreten inzwischen immer mehr Juristen entweder eine Vereinbarkeit der Entscheidung mit bestehendem deutschem Recht oder aber die Möglichkeit einer Ausnahme der Vertrauensarbeit aus der Regelungsanordnung im Rahmen von bestehendem europäischen Recht. Hier bleibt die weitere Rechtsentwicklung abzuwarten. Man kann jedoch davon ausgehen, dass bei uns auch in Zukunft Arbeitnehmer ihrer Tätigkeit in Vertrauensarbeit werden nachgehen können. Klingt doch erstmal gut. Aber natürlich ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt.

Denn tatsächlich delegiert Vertrauensarbeit den Bereich des Zeitmanagements vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer und versetzt diesen diesbezüglich in die Lage eines Selbstständigen. Dies kann aus der innerbetrieblichen Konkurrenzsituation heraus sehr schnell zu einer tatsächlichen Erhöhung seiner Arbeitszeit führen. Zur Erreichung der Zielvereinbarung dokumentiert der Mitarbeiter weniger Arbeitszeit, als er tatsächlich ableistet, um sich selbst und der betrieblichen Umwelt gegenüber ein möglichst positives Bild seiner Arbeitsqualität zu konstruieren. Eigentlich dokumentationspflichtige Überstunden, deren Notwendigkeit auch als Mangel an Kompetenz interpretiert werden könnten, werden unter den Tisch fallen gelassen, Selbstausbeutung wird zum Normalzustand. Notwendige oder gar gesetzlich vorgeschriebene Arbeitspausen werden nicht eingehalten, Verstöße gegen die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes sind an der Tagesordnung. Unter solchen Umständen leidet die Gesundheit des in Vertrauensarbeitszeit tätigen Arbeitnehmers, seine Leistungsfähigkeit und letztlich auch das gesamte Betriebsklima.

Diese Überlegungen zeigen, dass bei der Umstellung klassischer Arbeitszeitmodelle auf Vertrauensarbeit regelnde betriebliche Vereinbarungen mindestens hilfreich, wenn nicht sogar zwingend notwendig sind, um kontraproduktiven Entwicklungen entgegenzuwirken. Durch das umfangreiche Mitspracherecht des Betriebsrats hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeitszeit aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat dabei mannigfaltige Möglichkeiten, zu einer positiven Ausgestaltung beizutragen. Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit ist ein probates Mittel, um negativen Entwicklungen unter Berücksichtigung sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmerinteressen von vornherein entgegenzusteuern.

Derart in gute Bahnen gelenkt, kann Vertrauensarbeit sehr wohl ein Instrument sein, durch welches sich die Zufriedenheit der Mitarbeiter im Unternehmen und ihre Identifikation mit ihrer Firma nachhaltig steigern lässt. Und die damit auch sehr effektiv zur Generierung guter Betriebsergebnisse und zur Sicherung von Unternehmensstandorten beitragen kann.

Zum Abschluss produktiver Betriebsvereinbarungen ist umfassendes Know-how unverzichtbar. Gerne unterstützen wir Sie mit unseren Seminaren an attraktiven Standorten oder unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten im Rahmen einer Inhouse-Schulung in Ihrem Unternehmen.