Verfällt Urlaub künftig gar nicht mehr und sammelt sich über Jahre weiter an?

 

700x300- Beine + Füsse im Hintergrund Stand

Das Urlaubsrecht ist gehörig in Bewegung geraten. Grund dafür ist die Rechtsprechung des EuGH, die davon ausgeht, dass Urlaub ein europäisches Grundrecht darstellt. Dies hat erhebliche Konsequenzen.

Nach deutschem Urlaubsrecht verfällt der Urlaubsanspruch grundsätzlich am Jahresende (§ 7 Absatz 3 Satz 1 BUrlG). Dazu gibt es nur 2 Ausnahmen:

  1. Wenn der Arbeitnehmer den Urlaub wegen Krankheit im laufenden Jahr nicht nehmen kann, ist er bis zum 31.3. des Folgejahres zu nehmen (§ 7 Absatz 3 Satz 3 BUrlG). Ist auch dies wegen Krankheit nicht möglich, ist der Urlaub bis spätestens zum 31.3. des darauffolgenden Jahres zu nehmen.
     
    Beispiel: Der Arbeitnehmer ist seit dem 10.11.2018 bis über das Jahresende hinaus arbeitsunfähig erkrankt.
     
    Lösung: Der Urlaubsanspruch erlischt zum 31.12.2018 nicht, sondern kann bis zum 31.3.2019 noch genommen werden. Ist der Arbeitnehmer auch darüber hinaus arbeitsunfähig krank, wird der Urlaubsanspruch aus 2018 dem Urlaubsjahr 2019 „zugeschlagen“ und kann bis zum 31.12.2019, maximal bis zum 31.3.2020 genommen werden. Ist der Arbeitnehmer auch zu diesem Zeitpunkt noch erkrankt, verfällt der Resturlaubsanspruch aus 2018.
      
  2. Wenn der Arbeitnehmer den Urlaub aus entgegenstehenden dringenden betrieblichen Gründen im laufenden Jahr nicht nehmen konnte (etwa Urlaubssperre oder Urlaubsgewährung gegenüber schutzwürdigeren Arbeitnehmern), verfällt der Urlaubsanspruch erst am 31.3.2019.

Wichtig: nach bisherigem deutschen Urlaubsrecht ist der Arbeitnehmer für seine Ansprüche selbst verantwortlich. Stellt er also keinen Urlaubsantrag, obwohl er dies könnte, verfällt der Urlaubsanspruch!

Nun kommt Europa ins Spiel. Der EuGH hat in zwei ganz wichtigen Entscheidungen vom 06.11.2018 - C-619/16 und C-684/16 (vgl. Newsletter April 2019 - Artikel: Neues BAG-Urteil zum Urlaubsrecht) festgestellt, dass Mindesturlaubsansprüche nur untergehen bzw. verfallen können, wenn der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in Kenntnis des dann eintretenden Verfalls darauf verzichtet hat, seinen Jahresurlaub zu nehmen. Dies muss der AG im Streitfall beweisen.

Das BAG hat diese Entscheidungen des EuGH bereits früh umgesetzt (BAG, Urteil vom 19.02.2019 - 9 AZR 423/16) und Folgendes festgestellt:

  • Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub erlischt bei einer europarechtskonformen Auslegung des BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
     
  • Das setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer - erforderlichenfalls förmlich - auffordert, seinen Urlaub zu nehmen und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Dies hat der Arbeitgeber zu beweisen.
     
  • Anderenfalls verfällt der Urlaubsanspruch nicht und wird dem Urlaubsanspruch für das Folgejahr zugeschlagen.

Was muss der Arbeitgeber denn nun tun, um einen Verfall von Urlaubsansprüchen zu „ermöglichen“? Dazu auszugsweise aus den Randnummern 41 und 42 der Entscheidung des BAG vom 19.2.2019:

  • Der Arbeitgeber kann seine Mitwirkungsobliegenheiten zum Beispiel dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt.
     
  • Die Anforderungen an eine „klare“ Unterrichtung sind regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt.
     
  • Nimmt der Arbeitnehmer in diesem Fall seinen bezahlten Jahresurlaub nicht in Anspruch, obwohl er hierzu in der Lage war, geschieht dies aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen.
     
  • Abstrakte Angaben etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Dienst- oder Betriebsvereinbarung werden den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung in der Regel nicht genügen.
     
  • Andererseits verlangt der Zweck der vom Arbeitgeber zu beachtenden Mitwirkungsobliegenheiten grundsätzlich nicht die ständige Aktualisierung dieser Mitteilungen, etwa anlässlich jeder Änderung des Umfangs des Urlaubsanspruchs.
     
  • Setzt sich der Arbeitgeber in Widerspruch zu seinen Erklärungen, indem er etwa einen Urlaubsantrag zu Unrecht ablehnt oder anderweitig eine Situation erzeugt, die geeignet ist, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, seinen Urlaub zu beantragen, entfällt die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG.
     
  • Dem Arbeitgeber obliegt es in diesem Fall, seine Mitwirkungshandlungen erneut vorzunehmen.

Das bedeutet:

Der gut beratene Arbeitgeber

  • wird mindestens einmal jährlich am „schwarzen Brett“ oder im Intranet einen Aushang veröffentlichen, in dem er deutlich macht, dass er möchte, dass Arbeitnehmer ihren Urlaub nehmen und sich erholen,
     
  • dass er alles Mögliche tun wird, um den beantragten Urlaub zu gewähren und
     
  • dass er deutlich darauf hinweist, dass Urlaub verfällt, wenn er nicht beantragt und genommen worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre.

Tut er dies nicht, verfällt der Urlaubsanspruch nicht und kann möglicherweise über Jahre hinweg angesammelt werden. Übrigens: diese Rechtsprechung von EuGH und BAG gilt auch rückwirkend!

  • Hat also der Arbeitnehmer aus den Vorjahren noch Resturlaubsansprüche und
     
  • hat der Arbeitgeber entgegen EuGH und BAG nicht transparent dafür geworben, dass der Urlaub genommen wird, ist der Arbeitnehmer berechtigt, diese „alten“ Urlaubsansprüche noch geltend zu machen. Vertrauensschutz des Arbeitgebers, bezogen auf die „alte“ Rechtsprechung erkennt das BAG ausdrücklich nicht an.
Seminartipps