Videoüberwachung von Mitarbeitern am Arbeitsplatz

 

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Der Fall:

Die Arbeitgeberin betreibt in Hamm einen Lagerbetrieb, wo Waren gelagert und umgeschlagen werden. Sie beschäftigt knapp 400 Stammmitarbeiter sowie etwa 100 Leiharbeitnehmer. Daneben sind auf dem Betriebsgelände bei Drittfirmen beschäftigte Arbeitnehmer tätig.

In gut einem Jahr kam es zu Diebstählen von Waren aus dem Lagerbereich im Wert von knapp 60.000 €. Darüber hinaus soll es wegen Nichtbeachtung von Arbeitsanweisungen durch Mitarbeiter an Innentoren im Tiefkühlbereich zu Schäden von mehr als 40.000 € in knapp 1,5 Jahren gekommen sein. Schließlich sind im Bereich Warenein- und ausgang 3 Niederhubwagen im Wert von mehr als 7.000 € als gestohlen gemeldet worden.

Ob die Diebstähle bzw. Beschädigungen der Tore von eigenem Personal, Leiharbeitnehmer oder von Fahrern von Fremdspeditionen begangen worden sind, ließ sich nicht aufklären.

Auf Initiative der Arbeitgeberin verhandelten die Betriebsparteien zunächst erfolglos über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung einer Videoüberwachungsanlage für den Innen- und Außenbereich des Betriebsgeländes.

Durch Spruch der Einigungsstelle vom 12.6.2020 wurde es der Arbeitgeberin gestattet, insgesamt 213 Kameras anzubringen, davon 105 im Außenbereich. Die Kameras übertragen lediglich Bilder, keinen Ton. Die Daten werden gespeichert und nach festgelegten Fristen gelöscht, sofern sie nicht mehr benötigt werden. Mit rechtzeitigem Antrag (vgl. § 76 Absatz 5 Satz 4 BetrVG) aus Juni 2020 macht der Betriebsrat die Unwirksamkeit der durch die Einigungsstelle zustande gekommenen Betriebsvereinbarung geltend. Er meint, die Kameras im Innenbereich erlaubten eine unzulässige und unverhältnismäßige ständige Überwachung der Mitarbeiter. Sie sei weder nach Datenschutzrecht noch verfassungsrechtlich zulässig, zumal die von der Arbeitgeberin behaupteten Schäden gering seien.

Die Lösung:

Das Arbeitsgericht hat (1) festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam ist, (2) der Arbeitgeberin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aber nicht verboten, die Videoüberwachung fortzusetzen.

1. Der Spruch der Einigungsstelle ist unwirksam. Zwar sind die Betriebsparteien grundsätzlich befugt, eine Videoüberwachung im Betrieb einzuführen (vgl. BAG Beschluss vom 26.08.2008 1 ABR 16/07). Bei den Modalitäten ist aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht der beschäftigten Arbeitnehmer zu beachten. Eingriffe müssen, je nach Intensität verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die getroffene Regelung geeignet, erforderlich und angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (BAG Beschluss vom 26.08.2008 1 ABR 16/07). Dabei steht den Betriebsparteien sowie der Einigungsstelle ein Beurteilungsspielraum zu. Erforderlich ist die Regelung, wenn kein anderes, gleich wirksames und das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung steht. Auch insoweit haben die Betriebsparteien und die Einigungsstelle einen Beurteilungsspielraum. Für die Schwere des Eingriffs ist insbesondere von Bedeutung, wie viele Personen wie intensiv den Beeinträchtigungen ausgesetzt sind und ob sie - etwa durch eigene Rechtsverletzung - Anlass zu der Datenerhebung gegeben haben (LAG München Beschluss vom 23.07.2020 2 TaBV 126/19). Die Regelungen in der Betriebsvereinbarung zur Installation der Kameras im Innen- und Außenbereich ist insgesamt unwirksam, weil teilweise unverhältnismäßig.

a.) Angesichts des geringen Wertes der gestohlenen Waren im Lagerbereich ist die ständige Videoüberwachung in diesem Bereich unverhältnismäßig, zumal in erheblichem Umfang Unschuldige überwacht werden.

b.) Für den Tiefkühlbereich reklamiert die Arbeitgeberin Reparaturkosten an den Toren wegen nicht ordnungsgemäßer Nutzung der Seilzüge und dadurch entstandener Anfahrschäden in Höhe von etwa 40.000 € in knapp 1,5 Jahren. Die ständige Videoüberwachung in diesem Bereich dient also lediglich der Überwachung des Arbeitsverhaltens der Mitarbeiter und nicht der Verhinderung von Diebstählen. Sie geht über das erlaubte Maß hinaus und ist jedenfalls unverhältnismäßig.

c.) Die im Bereich des Warenein- und -ausgangs installierten Kameras dienen dem Schutz vor Diebstählen etwa von Niederhubwagen. Der Einsatz der Kameras ist geeignet, erforderlich, angemessen und nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Kameras im Außenbereich. Wegen der Unwirksamkeit der Regelungen in der Betriebsvereinbarung zu a.) und b.) ist diese trotz ansonsten wirksamer Regelungen insgesamt unwirksam, da für die Kammer nicht konkret feststellbar ist, welche Kameras durch die Arbeitgeberin wo zulässigerweise bzw. unzulässigerweise installiert worden sind und genutzt werden.

2. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens darf die Arbeitgeberin alle installierten Kameras weiter nutzen. Das Anfechtungsverfahren (§ 76 Absatz 5 Satz 4 BetrVG) entfaltet keine aufschiebende Wirkung. Der Spruch der Einigungsstelle ist für Arbeitgeber und Betriebsrat so lange verbindlich, bis dieser rechtskräftig aufgehoben ist.

Hinweis für die Praxis:

Eine gute und richtige Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Betriebsrat muss leider akzeptieren, dass die Betriebsvereinbarung erstmal weiter gilt, bis das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist (vgl. § 77 Absatz 6 BetrVG). Denn es ist bei mitbestimmungspflichtigen Tatbestanden (z.B. in den Fällen des § 87 BetrVG) nach dem Willen des Gesetzgebers für beide Betriebsparteien besser, eine schlechte Betriebsvereinbarung zu haben, als gar keine. Hoffentlich wird sich auch noch das BAG mit diesem Fall beschäftigen.

Tipp: Häufig macht es Sinn, nicht nur das Anfechtungsverfahren durch die Instanzen zu betreiben, sondern gleichzeitig die durch Spruch der Einigungsstelle zustande gekommene Betriebsvereinbarung zu kündigen (§ 77 Absatz 5 BetrVG; Kündigungsfrist i.d.R. drei Monate), um während des laufenden Anfechtungsverfahrens eine neue Einigungsstelle mit einem/einer anderen Vorsitzenden bilden zu können.