Neues zum Thema Beschlussfassung des Betriebsrats

LAG Erfurt, Beschluss vom 24.10.2023 - 1 TaBV 25/21

Der Fall:
Ein Arbeitgeber und der elfköpfige Betriebsrat streiten um die richtige Eingruppierung einer Mitarbeiterin nach Haustarifvertrag, die als Assistenz des Betriebsrats insbesondere die Organisation des Büros und die Öffentlichkeitsarbeit wahrnahm. Im März 2021 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um die Zustimmung zur Einstellung dieser Mitarbeiterin sowie um deren Eingruppierung in die Gehaltsgruppe E. Der Betriebsrat stimmte der Einstellung zu, widersprach jedoch der Eingruppierung mit der Begründung, zutreffend sei eine Eingruppierung in die Gehaltsgruppe F. An der Beschlussfassung des Betriebsrats nahmen 9 von 11 Betriebsratsmitglieder teil. 2 Betriebsratsmitglieder fehlten unentschuldigt. Die vom Betriebsratsvorsitzenden an die Mitglieder des Betriebsrats übersandte Tagesordnung sah insoweit lediglich die Tagesordnungspunkte

  • „personelle Beschlüsse“ und
  • „Ergänzung und Genehmigung der Tagesordnung“

vor, ohne die Einstellung und Eingruppierung der Mitarbeiterin konkret zu benennen.
Der Arbeitgeber meint, die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Eingruppierung der Assistentin gelte als erteilt, da der Betriebsrat innerhalb der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG keinen wirksamen Beschluss gefasst habe.

Die Lösung:
Das Arbeitsgericht stellte fest, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Arbeitnehmerin B in die Gehaltsgruppe E des Haustarifvertrags gemäß § 99 Abs. 3 S. 2 BetrVG als erteilt gelte. Auf die Beschwerde des Betriebsrats änderte das LAG den Beschluss des ArbG ab, ersetzte jedoch im Ergebnis die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Arbeitnehmerin B in die Gehaltsgruppe E des Haustarifvertrags. Das LAG tenorierte wie folgt:

„Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 10.11.2021 …abgeändert und unter Abweisung des Antrags im Übrigen die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur Eingruppierung der Arbeitnehmerin … in die Gehaltsgruppe E des Haustarifvertrags … ersetzt.

1. Das LAG meint, die Arbeitnehmerin B sei in Gehaltsgruppe E des Haustarifvertrags zutreffend eingruppiert und teilt die Bedenken des Betriebsrats insoweit nicht.

2. ABER: Anders als das Arbeitsgericht geht das LAG davon aus, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Arbeitnehmerin in die Gehaltsgruppe E des Haustarifvertrags nicht als erteilt gilt.

Deshalb: Der Beschluss des Betriebsrats war als ordnungsgemäß anzusehen. Er erfolgte binnen der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 S. 1 BetrVG und war entgegen der Auffassung des ArbG auch ansonsten wirksam.

  • Der Betriebsrat hat in seiner Sitzung einstimmig den Punkt "Einstellung dafür und Widerspruch Eingruppierung" beschlossen.
  • Der Betriebsrat war auch beschlussfähig im Sinne des § 33 Abs. 2 BetrVG, da von seinen elf Mitgliedern neun Mitglieder bzw. Ersatzmitglieder in der Sitzung anwesend waren.
  • Der Betriebsratsvorsitzende hat auch gem. § 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG sämtliche Mitglieder bzw. Ersatzmitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung geladen.
  • In der Sitzung wurde die Tagesordnung ordnungsgemäß ergänzt, so dass es dem Betriebsrat nicht verwehrt war, zur Eingruppierung von Frau B einen Beschluss zu fassen.
  • Eine mangels Übermittlung einer ordnungsgemäßen Tagesordnung verfahrensfehlerhafte Ladung zu einer Betriebsratssitzung kann durch die im Übrigen ordnungsgemäß geladenen Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats in der Betriebsratssitzung geheilt werden, wenn der Betriebsrat beschlussfähig im Sinne des § 33 Abs. 2 BetrVG ist und die Anwesenden einstimmig beschließen, über einen Regelungsgegenstand zu beraten und abzustimmen. Nicht erforderlich ist, dass an dieser Sitzung alle Betriebsratsmitglieder teilnehmen. Hierbei ist es nicht erforderlich, über die Ergänzung der Tagesordnung getrennt abzustimmen. Vielmehr ist es ausreichend, dass niemand der Beschlussfassung über den neuen Tagesordnungspunkt widerspricht.

 

Hinweis für die Praxis:

Das Besondere an dem Fall ist, dass das LAG die neuere, aber nicht unumstrittene, Rechtsprechung des BAG (endlich) umsetzt.

  • Früher hat das BAG die Auffassung vertreten, dass eine Ergänzung der Tagesordnung zur Betriebsratssitzung nur dann erfolgen kann, wenn alle Betriebsratsmitglieder bzw. benötigten Ersatzmitglieder zu der Sitzung ordnungsgemäß geladen worden sind und der Betriebsrat vollständig an der Sitzung teilnimmt. Fehlt nur ein Betriebsratsmitglied, kann die Tagesordnung nicht wirksam ergänzt werden. Außerdem war erforderlich, dass alle Betriebsratsmitglieder der Ergänzung der Tagesordnung zustimmen.
  • Diese frühere Rechtsprechung hat das BAG (vgl. Beschlüsse vom 15.04.2014 -1 ABR 2/13 und 22.01.2014 -7 AS 6/13) aufgegeben. Selbst bei einer Ladung der Betriebsratsmitglieder ohne ausreichende Mitteilung der Tagesordnung kommt eine Ergänzung der Tagesordnung in Betracht, wenn
    (1) alle Betriebsratsmitglieder ordnungsgemäß zur Sitzung eingeladen worden sind,
    (2) der Betriebsrat beschlussfähig ist und
    (3) die anwesenden Betriebsratsmitglieder einstimmig beschlossen haben, über den Regelungsgegenstand zu beraten und abzustimmen.

Das LAG Thüringen folgt nun (auch) dieser geänderten Rechtsprechung des BAG.