BEM für Mitarbeiter mit psychischen Erkrankungen

 

730x300 3 Personen sitzend im Gespräch

Herr Frischler ist zurück - d. h. bald. Zwei Wochen ist er noch krankgeschrieben und dennoch hat das bEM-Team (bEM = Betriebliches Eingliederungsmanagement) ihn eingeladen. Er hatte mit der Einladung gerechnet, weil ja schon vor seiner Erkrankung im Unternehmen viel über das bEM berichtet wurde. Als dann der Brief mit dem Absender seines Arbeitgebers im Briefkasten lag, war er doch sehr nervös. Aber da gleich vorne das Logo des bEM-Teams zu sehen und der Brief sehr freundlich geschrieben war, hat er sich schnell beruhigt. "Was soll ich denn im bEM? Bei meiner Erkrankung könnt ihr doch eh nichts für mich tun.", fragte er am Telefon seinen Ansprechpartner. Dieser antwortete "Oft fragen sich Kollegen zu Beginn des bEM, ob für sie was getan werden kann. Im Nachhinein sind sie dann überrascht, was alles möglich ist. Was halten Sie davon, wenn wir uns einfach mal zusammensetzen und schauen?"

Gerade bei psychischen Erkrankungen haben Mitarbeiter oft Scheu vor dem bEM und sehen keine Ansatzpunkte für Hilfsmöglichkeiten - leider oft auch die bEM-Berater. In unserem Fallbeispiel ist schon einiges richtig gelaufen: die Aufklärung der Belegschaft über den Nutzen des bEM, eine freundliche Einladung mit einem speziellen "bEM-Briefumschlag" und die Akzeptanz der Vorbehalte durch den bEM-Berater.

Zurück zu unserem Fallbeispiel: Herr Frischler fühlte sich vor seiner Krankschreibung oft müde und kraftlos, hatte zu nichts mehr Lust und schlief auch schlecht. Auf der Arbeit klappte es nicht mehr so gut: er machte oft Fehler und konnte auch sonst nicht mehr so viel leisten wie früher. Er hatte oft Schuldgefühle, weil er die Kollegen hängen ließ und weil er manchmal sehr gereizt reagierte. Irgendwann ging gar nichts mehr und er suchte einen Arzt auf, der die Diagnose "Depression" stellte. "Jetzt ist es so weit - jetzt bin ich also reif für die Irrenanstalt". Sein Arzt beruhigte ihn: Jeder Zweite erkrankt im Laufe seines Lebens an einer psychischen Störung und an einer Depression jeder Fünfte. Oft lässt sich eine Depression auch gut behandeln. Er empfahl ihm einen psychologischen Psychotherapeuten und verschrieb ihm Medikamente. Und jetzt also bEM.

Im Gespräch mit seinem bEM-Berater konnte Frischler über seine Sorgen sprechen, dass die Kollegen ihn jetzt vielleicht für "verrückt" hielten und er gar nicht wisse, was er hier solle. Da sein bEM-Berater gut für seine Arbeit vorbereitet wurde, konnte er professionell mit diesen Widerständen und Vorbehalten umgehen - die rechtliche Seite ist meist nicht das Problem im bEM.

In der Situationsanalyse des bEM wird genau geschaut, welche Belastungsfaktoren es gibt - bei der Arbeit, aber auch im Privatleben. Eine Depression ist, wie auch andere Erkrankungen, nicht nur auf eine Ursache zurückzuführen und es gilt die Faktoren herauszufinden, welche sich im Rahmen des bEM beeinflussen lassen. Da der bEM-Nehmer der Experte für sein Leben ist, sollte er natürlich zuerst befragt werden. Ergänzend können weitere Quellen hinzugezogen werden, wie z. B. die Stellenbeschreibung, ärztliche/therapeutische Stellungnahmen oder auch die Gefährdungsbeurteilung. Gerade bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung ist diese mit dem Schwerpunkt psychische Arbeitsbelastung eine wichtige Informationsquelle. Da eine Gefährdungsbeurteilung nicht nur bei der Einrichtung und Veränderung eines Arbeitsplatzes durchgeführt werden muss, sondern auch zu besonderen Anlässen, kann es sinnvoll sein, diese erneut erstellen zu lassen. Die Ergebnisse sollten mit dem bEM-Nehmer durchgesprochen werden. Z. B. ist bei Mitarbeitern, die Maschinen bedienen oder im Fahrdienst tätig sind, ebenfalls zu prüfen, ob die eingenommenen Medikamente diese Tätigkeit zulassen. Hier sollte Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden.

Grundsätzlich sollte auch das Privatleben berücksichtigt werden, nicht nur, wegen eines Gerichtsurteils (LAG Hessen, Urteil vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12), sondern weil ein bEM oft scheitert, wenn das Privatleben ausgeklammert wurde.
Erst nach einer gründlichen Situationserfassung werden für die einzelnen Problemstellungen Lösungen entwickelt. "Welche Ideen haben Sie Herr Frischler, wie Ihre Situation ein klein wenig entlastet werden kann?" fragt der bEM-Berater. Für den privaten Bereich gibt es viele Beratungsstellen (z. B. Schuldner-, Erziehungs-, Familien-, Suchtberatung), welche Herrn Frischler unterstützen können. Auch eine Selbsthilfegruppe für Betroffene und sogar deren Angehörige ist oft hilfreich.

Wie auch bei primär körperlichen Erkrankungen lassen sich am Arbeitsplatz Hilfen sowohl auf der Seite der Person, als auch der Umwelt ansetzen. Bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung steht oft der Schutz vor Selbstüberforderung an erster Stelle: regelmäßig Pausen machen (bevor man müde wird!), Nein-sagen lernen, besserer Umgang mit Konflikten und emotionalen Belastungen sind Beispiele hierfür. Da Menschen mit einer psychischen Erkrankung oft über besondere Arbeitsanstrengungen das Stigma der psychischen Erkrankung loszuwerden versuchen, muss hier vorbeugend gehandelt werden. Eine stufenweise Wiedereingliederung mit regelmäßiger Reflexion und Feedbackgesprächen ist da sehr hilfreich.

Nicht nur weil eine psychische Erkrankung oft phasenweise verläuft und Frühwarnsymptome rechtzeitig bemerkt werden sollten, sondern weil es auch zu verhindern gilt in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, ist außerdem ein Vorsorgeprogramm zu entwickeln. Das kann z. B. bedeuten, dass der bEM-Nehmer regelmäßig über einen längeren Zeitraum kurze Gespräche mit dem bEM-Berater führt - die natürlich keine Psychotherapie ersetzen können oder sollen!
Auch an der Arbeitsumgebung lässt sich einiges machen: Es können die Aufgaben angepasst, Verhaltensrichtlinien entwickelt oder auch Konflikte am Arbeitsplatz durch Mediation gelöst werden. Grundsätzlich sind monotone Arbeiten ungünstig, können aber von Menschen mit einer psychischen Erkrankung als beruhigend erlebt werden. Gleiches gilt für Job-Rotation, Arbeitsanreicherung oder -ausweitung, die zu mehr Belastung führen kann, welche nicht immer die positiven Effekte bei dieser Zielgruppe aufwiegt. Gerade hier ist eine genaue individuelle Betrachtung notwendig! Auch "moderne" Arbeitsplatzkonzepte wie Großraumbüro und vor allem das "non-territoriale Büro" sind besonders bei dieser Personengruppe meist kontraindiziert. Es ist ein ruhiger Arbeitsplatz mit einer stabilen, vorhersagbaren Umgebung günstiger. Manchmal genügt es schon, in einem Großraumbüro eine ruhige Ecke zu gestallten.

Oft ist es auch hilfreich, die Führungskraft über die Besonderheiten des Mitarbeiters zu informieren, z. B. den Unterschied zu erläutern zwischen "keine Lust" & faul sein und einer depressiven Antriebsstörung, sowie ob und wie sie ihren Mitarbeiter unterstützen kann. Natürlich nur, wenn der bEM-Nehmer zustimmt und die Führungskraft von ihrem Selbstverständnis für eine solche Unterstützung bereit ist.

Und die ganzen Möglichkeiten des Sozialhilferechts wie Umschulung, (Teil-)Berentung usw. gelten hier natürlich auch, wenn die anderen Möglichkeiten bei der Person und der Umwelt ansetzen.

Herr Frischler ist erstaunt: "Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so viel für mich tun konnten! Vielen Dank für Ihre Hilfe".

 

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