Grundsätzliches zum Regelungsauftrag der Einigungsstelle bei Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes

 

730x300 - Personen in Anzügen, zwei Frauen geben sich die Hand

Der Fall:

Der Betriebsrat der Filiale eines bundesweit tätigen Textilhandelsunternehmens einigte sich mit dem Arbeitgeber auf die Bildung einer Einigungsstelle zur umfassenden Erledigung aller Themen des Gesundheitsschutzes. Die Einigungsstelle erließ daraufhin durch Teilspruch eine "Betriebsvereinbarung (BV) über akute Maßnahmen des Gesundheitsschutzes", in der zahlreiche, als besonders dringlich angesehene Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz geregelt waren. In der BV war unter anderem bestimmt, dass Mitarbeiter maximal 4 Stunden pro Schicht eine stehende Tätigkeit ausführen dürfen, den Mitarbeitern an der Kasse sowie im Lager eine Stehhilfe zur Verfügung zu stellen ist, für den Transport von Figuren ein Hubwagen verfügbar sein muss, die Visual Merchandiser einen rollenden Werkzeugkasten erhalten sollen und der Dekoraum mit einem elektrisch höhenverstellbaren Arbeitstisch sowie zwei ergonomischen Büroschreibtischstühlen ausgestattet wird. Weitere Maßnahmen waren für den Verkaufsraum bzw. das Lager sowie das Büro der Storecontroller vorgesehen.

Der Arbeitgeber hat die Feststellung der Unwirksamkeit des Teilspruchs der Einigungsstelle beantragt und dies damit begründet, die getroffenen Regelungen seien nicht von der Zuständigkeit der Einigungsstelle gedeckt. Im Betrieb bestünden keine unmittelbaren Gesundheitsgefahren, so dass dem BR kein Mitbestimmungsrecht nach den arbeitsschutzrechtlichen Generalklauseln wie etwa § 3 Abs. 1 ArbSchG zustehen würde.

Das Arbeitsgericht Berlin hat den Feststellungsantrag des Arbeitgebers abgewiesen. Das LAG Berlin hat dem Antrag weitgehend stattgegeben und den Teilspruch mit Ausnahme einiger Regelungen für unwirksam erklärt. Das BAG hat den gesamten Teilspruch für unwirksam erklärt.

Die Lösung:

Das BAG hat den Teilspruch der Einigungsstelle aus drei Gründen für unwirksam erklärt.

  1. Das BAG hat zunächst bemängelt, dass der Einigungsstelle kein konkreter Regelungsauftrag erteilt worden ist. Bei der Errichtung einer Einigungsstelle ist der von ihr zu verhandelnde Regelungsgegenstand zu bestimmen. Dieser kann zwar weit gefasst werden. Es muss jedoch stets hinreichend klar sein, über welchen Gegenstand die Einigungsstelle überhaupt verhandeln und gegebenenfalls durch Spruch entscheiden soll. Dies ist schon deshalb unerlässlich, weil mit dem Regelungsgegenstand der Zuständigkeitsrahmen der Einigungsstelle abgesteckt wird. Der Regelungsauftrag muss deshalb den gegenständlichen Regelungsbereich ausreichend erkennen lassen. Im Bereich der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG konkretisiert sich der Regelungsauftrag einer Einigungsstelle in der Regel nach der auszufüllenden Rahmenvorschrift des Arbeits- und Gesundheitsschutzes (z. B. Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung oder zur Unterweisung) oder den zu gestaltenden Bedingungen des Arbeitsplatzes oder der Tätigkeit (z. B. Regelungen für Storecontroller). Im Streitfall lässt der Regelungsgegenstand der Einigungsstelle (umfassende Erledigung aller Themen des Gesundheitsschutzes) nicht ausreichend erkennen, welche Regelungskonflikte von der Einigungsstelle behandelt und einer abschließenden Lösung zugeführt werden sollen. Mit ihrer Verständigung über die Einsetzung einer Einigungsstelle haben die Betriebsparteien vielmehr auf einen "bunten Strauß" an Maßnahmen abgehoben, ohne dass ersichtlich wäre, welche Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen bestehen. Der Mangel an der notwendigen Bestimmung des Regelungsgegenstandes führt zur Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung.
     
  2. Das BAG hat weiter ausgeführt, dass zahlreiche Regelungen der BV schon deshalb unwirksam sind, weil die Einigungsstelle ihre Regelungskompetenz offenkundig überschritten hat, indem sie eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen hat, ohne dass die Voraussetzungen für eine die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG auslösende Rahmenvorschrift des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vorgelegen hätten. Zwar kann für diese Maßnahmen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG, § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV, § 1 Abs. 1 LasthandhabV, §§ 4, 5 und 6 BetrSichV oder § 7 LärmVibrations ArbSchV in Betracht kommen. Eine gesetzliche Handlungspflicht des Arbeitgebers wird durch diese Rahmenvorschriften des Arbeits- und Gesundheitsschutzes jedoch erst dann ausgelöst, wenn aufgrund einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG bzw. § 3 ArbStättV, § 3 BetrSichV oder § 3 LärmVibrationsArbSchG konkrete Gefährdungen für die Beschäftigten festgestellt worden sind. Ebenso wie die Handlungspflicht des Arbeitgebers knüpft auch die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG an das Vorliegen von Gefährdungen an, die entweder feststehen oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festzustellen sind. Im Streitfall fehlt es an der Feststellung konkreter Gefährdungen, an denen die Einigungsstelle die von ihr getroffenen Regelungen hätte ausrichten müssen. Die Einigungsstelle war auch nicht befugt, die Feststellung und Beurteilung der Gefährdungen selbst vorzunehmen, denn dies ist allein Aufgabe des Arbeitgebers sowie der zuständigen Arbeitsschutzbehörden.
     
  3. Das BAG hat einige der getroffenen Regelungen auch deshalb für unwirksam gehalten, weil sie entweder nicht von einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gedeckt sind oder die Einigungsstelle mangels näherer Festlegung der den Arbeitgeber treffenden Handlungspflicht keine konkrete Regelung getroffen hat. So war in der BV unter anderem bestimmt, dass für die Mitarbeiter, die zur Lackierung oder Bemalung von Dekomaterial eingesetzt sind, geeignete Schutzmaßnahmen im Sinne des § 4 ArbSchG zu ergreifen sind. Diese Regelung ist unvollständig, denn sie lässt nicht erkennen, welche konkreten Maßnahmen der Arbeitgeber treffen muss, um der dort festgelegten Handlungspflicht nachzukommen. Die Einigungsstelle genügt ihrem Regelungsauftrag nicht, wenn sie sich auf rahmenmäßige Anordnungen oder die bloße Wiedergabe des Wortlauts der Rahmenvorschrift beschränkt, sondern muss eine eigenständige, inhaltlich konkrete und abschließende Regelung treffen. 

Hinweis für die Praxis:

Das BAG hat mit diesem Beschluss eine grundlegende Entscheidung für die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie für die Tätigkeit der Einigungsstelle im Konfliktfall über die Ausübung des Mitbestimmungsrechts durch den Betriebsrat getroffen.

Positiv ist zunächst, dass das BAG ausdrücklich seine frühere Rechtsprechung aufgegeben hat, nach der ein auf die arbeitsschutzrechtlichen Generalklauseln wie § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG und § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV gestütztes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht mehr das Vorliegen einer unmittelbaren objektiv bestehenden Gesundheitsgefahr für die Beschäftigten voraussetzt, sondern bereits dann besteht, wenn eine konkrete Gefährdung entweder feststeht oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festgestellt wird.

Auf der anderen Seite wird die Anrufung der Einigungsstelle durch den Betriebsrat dadurch erschwert, dass die Einigungsstelle, wenn der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG auf die arbeitsschutzrechtlichen Generalklauseln wie § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG oder § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV stützt und der Arbeitgeber eine Gefährdung der Beschäftigten bestreitet oder einwendet, er habe bereits alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten getroffen, erst dann tätig werden darf, wenn in Bezug auf den zu regelnden Gegenstand eine konkrete Gefährdung der betroffenen Beschäftigten entweder bereits aufgrund einer Gefährdungsbeurteilung festgestellt wurde oder auf andere Weise nachgewiesen ist (z. B. durch Berichte über Arbeitsunfälle oder Beinaheunfälle).  

Das BAG hat schließlich zum wiederholten Mal darauf hingewiesen, dass der Regelungsauftrag der Einigungsstelle konkret bestimmt werden muss und die Einigungsstelle ihrem Regelungsauftrag nur dann nachkommt, wenn sie eine inhaltlich eindeutige, vollständige und abschließende Regelung trifft, die klar erkennen lässt, was der Arbeitgeber tun muss und wie er es im Einzelnen zu tun hat, d. h. mit welchen konkreten Mitteln bzw. Maßnahmen er die von der Einigungsstelle festgelegte Handlungspflicht zu erfüllen hat.  

Zusammenfassung:

  1. In den Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung muss der aufgrund eines gegenwärtigen Regelungskonflikts der Betriebsparteien errichteten Einigungsstelle ein so konkreter Regelungsauftrag erteilt sein, dass diese beurteilen kann, worin der an sie gerichtete Auftrag besteht und wann er beendet ist. Ein unklarer Regelungsauftrag vermittelt der Einigungsstelle keine Spruchkompetenz.
     
  2. Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG knüpft bei arbeitsschutzrechtlichen Generalklauseln wie § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG oder § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV an das Vorliegen von Gefährdungen an, die entweder feststehen oder im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festzustellen sind.
     
  3. Feststehende oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung erst festzustellende Gefährdungen sind Voraussetzung für die Wahrnehmung des Regelungsauftrags einer Einigungsstelle, soweit es um die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättV, §§ 4, 5 und 6 BetrSichV oder § 7 LärmVibrations-ArbSchV geht.