Am 4. Februar 1920 trat das Betriebsrätegesetz in Kraft. Deutschland war damit ein Vorreiter für die Mitspracherechte von Arbeitern und Angestellten. Fragt man nach den großen Erfolgsfaktoren der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich, so gehört ohne Zweifel die betriebliche Mitbestimmung dazu. In nahezu allen Wirtschaftskrisen – besonders nach dem 2. Weltkrieg - hat die Teilnahme der Arbeitnehmer an der Willensbildung im Betrieb und Unternehmen zu einer erheblichen Linderung von Auswüchsen beigetragen.
Die Geburtsstunde der betrieblichen Mitbestimmung war allerdings von einem tragischen Ereignis überschattet: Am Tag der Beratung im deutschen Reichstag (13. Januar 1920) demonstrierten etwa 100.000 Berliner Arbeiter und Angestellte vor dem Reichstagsgebäude. Ihrer Ansicht nach sah der Gesetzesentwurf nur sehr wenige Mitspracherechte für Betriebsräte vor. Am Ende der Demonstration lagen 41 Tote vor dem Reichstag und über 100 Verletzte mussten in Krankenhäusern behandelt werden.
Das Betriebsrätegesetz von 1920 (1. Zeitraum: Dauer 14 Jahre) sah vor, dass Betriebsräte die Betriebsleitungen „durch Rat unterstützen, um dadurch mit ihr für einen möglichst hohen Stand und möglichste Wirtschaftlichkeit der Betriebsleitung zu sorgen“. Sie sollten an der „Einführung neuer Arbeitsmethoden fördernd mitarbeiten“ und den „Betrieb vor Erschütterungen bewahren“. Weitere Vorgaben waren: Das Einvernehmen innerhalb der Arbeitnehmerschaft zu wahren, Beschwerden des Arbeiter- und Angestelltenrates entgegenzunehmen und auf ihre Abstellung in gemeinsamer Verhandlung mit dem Arbeitgeber hinzuwirken, sowie auf die Bekämpfung der Unfall- und Gesundheitsgefahren im Betrieb zu achten. Eine zentrale Aufgabe der Betriebsräte war, an der Verwaltung von Pensionskassen und Werkswohnungen, sowie sonstiger „Betriebswohlfahrtseinrichtungen“ mitzuwirken und darüber zu wachen, dass in den Betrieben die zugunsten der Arbeitnehmer gegebenen gesetzlichen Vorschriften und Tarifverträge durchgeführt werden.
Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahre 1933 fand ab 1934 mit dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (2. Zeitraum: Dauer 12 Jahre) jegliche Form der Mitbestimmung der Arbeitnehmer ein Ende. Sogenannte Vertrauensmänner bildeten mit dem „Führer des Betriebes“ den Vertrauensrat des Betriebes. Sie hatten allerdings keine selbstständigen Funktionen.
Im Jahre 1946 beschloss der Alliierte Kontrollrat das „Gesetz über die Bildung von Betriebsräten (3. Zeitraum: Dauer 6 Jahre). „Gestattet“ wurde die Einrichtung von jährlich zu wählenden Betriebsräten „zur Wahrnehmung der beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiter und Angestellten“ der einzelnen Betriebe. Dieses Kontrollratsgesetz Nr. 22 legte lediglich die Rahmenbedingungen fest, sodass es in den Betrieben sowohl gesetzliche als auch vereinbarte Regelungen gab.
Im Jahre 1952 wurde dieses Kontrollratsgesetz Nr. 22 durch das deutsche Betriebsverfassungsgesetz (4. Zeitraum: Dauer bis zur ersten Novellierung 20 Jahre) abgelöst. Es sah unregelmäßige Wahlen bei einer Amtszeit von 2 Jahren vor. Im Mittelpunkt standen und stehen auch heute die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in wirtschaftlichen, sozialen und personellen Angelegenheiten. Grundlage dieses Gesetzes ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes (§ 2 BetrVG). Für den Arbeitgeber gilt die rechtzeitige und umfassende Informationspflicht (§ 80 Abs. 2 BetrVG). In allen Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern ist ein Wirtschaftsausschuss zu bilden, der einen Katalog von Unterrichtungsgegenständen vorsieht (§ 106 BetrVG). Die betriebsverfassungsrechtliche Konfliktlösung bei allen erzwingbaren Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats ist die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG). Freistellungs- und Schulungsansprüche (§§ 37 Abs.2; und §37 Abs.6 BetrVG) sowie Behinderungsverbote (§ 78 BetrVG) und Kündigungsschutz runden die Stellung des Betriebsrats ab.
Mit der ersten Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 1972 (5. Zeitraum: Dauer bis zur Gesetzesänderung 16 Jahre) wurde ein einheitlicher Wahltermin (1. März bis 31. Mai) und die Verlängerung der Amtsperiode auf 3 Jahre eingeführt. Wählbar in den Betriebsrat sind nun auch „Gastarbeiter aus Nicht-EU-Ländern“. Ein geschäftsführender Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG) und die völlige Freistellung von Betriebsräten (§ 38 BetrVG) werden eingeführt.
Im Jahre 1988 wird das Betriebsverfassungsgesetz geändert (6. Zeitraum: Dauer bis zur 2. Novellierung 12 Jahre). Die Amtszeit wird auf vier Jahre erweitert und es wird der Minderheitenschutz verstärkt. Kleinere Gewerkschaften erhalten größere Chancen bei der Aufstellung von Betriebsratswahllisten durch eine Verringerung der Unterschriftenzahl für Wahlvorschläge.
Mit der 2. Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 2001 (7. Zeitraum: Dauer bis heute 18 Jahre) wird ein zweistufiges Wahlverfahren für Kleinbetriebe bis 50 Arbeitnehmer (§ 14a BetrVG) festgelegt, die gemeinsame Wahl von Arbeitern und Angestellten, die Vertretung des Minderheitengeschlechts im Betriebsrat, die Erhöhung der Zahl der Betriebsräte und die Erhöhung der Zahl der völlig freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Leiharbeitnehmer sind nun wahlberechtigt.
Im Laufe der Jahre ist der Einfluss des Betriebsrats ständig gestiegen: Er hat von Novellierung zu Novellierung vom Gesetzgeber immer mehr Rechte und Zuständigkeiten erhalten. Er hat sich vom Überwacher der Arbeitnehmerrechte bis hin zum Mitgestalter des Arbeitslebens entwickelt. Dazu beigetragen hat auch die Entwicklung, dass durch tarifliche Öffnungsklauseln, Ergänzungstarifverträge, betriebliche Bündnisse für Arbeit etc. tarifpolitische Entscheidungen immer häufiger auf die betriebliche Ebene verlagert werden. Durch die Unternehmensmitbestimmung (Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat) hat eine Verquickung von betrieblicher Mitbestimmung und Unternehmenspolitik stattgefunden, denn heute sind ca. 10.500 Betriebsratsmitglieder gleichzeitig auch Aufsichtsratsmitglieder und können hier ihre betriebspolitischen Vorstellungen einbringen. So sind zum Beispiel die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden meist auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und damit ebenso Mitglied des Aufsichtsratspräsidiums, welches u.a. maßgeblich an der Auswahl der Vorstandsmitglieder beteiligt ist.
Die hohe Wiederwahl der Betriebsratsmitglieder und allen voran der Betriebsratsvorsitzenden - im Vergleich zu den recht hohen Fluktuationsraten der Führungskräfte - haben den Betriebsrat zu der „Nachhaltigkeit“ im Unternehmen werden lassen.
Bei all diesen Betrachtungen stehen aber die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Vordergrund. Was so nüchtern klingt, bestimmt präzise alle Ordnungs- und Verhaltensregeln im Betrieb, Arbeitszeiten, technische Einrichtungen zur Kontrolle der Arbeitnehmer, Einstellungen, Versetzungen, Eingruppierungen, Umgruppierungen und auch die Mitwirkung bei der beruflichen Bildung: Der Betriebsrat ist damit ein weiterer volkswirtschaftlicher Produktionsfaktor geworden.
Eine faire, kooperative und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat – wie es auch das Betriebsverfassungsgesetz vorschreibt – hat sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer erhebliche Vorteile. Sie sind eine Waagschale des Mehrwerts: Geordnetes Miteinander, klare Regelungen, Konsens mit dauerhaften Lösungen, Kontinuität in der Arbeitsordnung, frühzeitige Lokalisation von Problemen, Betriebsfrieden durch sozialen Ausgleich und damit auch eine höhere Identifikation der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen.
Von einer solchen konstruktiven Zusammenarbeit der Betriebspartner hängt u.a. der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens in hohem Maße ab. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist eine funktionierende Betriebspartnerschaft ein Kernelement derWettbewerbsfähigkeit. Zur vertrauensvollen Zusammenarbeit gibt es daher auch aus Unternehmenssicht keine vernünftige Alternative.
Wie sieht die Zukunft aus? Wirtschaft 4.0 und Digitalisierung werden den Betriebsrat vor ganz neue Herausforderungen stellen: Die Attraktivität der betrieblichen Mitbestimmung wird daher davon abhängen, ob es den Betriebsräten gelingen wird für Arbeitnehmer und auch für arbeitnehmerähnliche Personen mit heterogenen und im Zeitablauf wechselnden Bedürfnissen eine adäquate Interessenvertretung und für die Arbeitgeber konstruktiver und qualifizierter Mitbestimmungspartner zu sein. Daran müssen aber auch die Arbeitgeber arbeiten. Hier müssen aber ebenso vom Staat weitere und auch neue „Spielregeln“ getroffen werden.