Das Betriebsverfassungsgesetz bildet das notwendige rechtliche Fundament für die Arbeit der Interessenvertretung, doch die Praxis zeigt täglich, dass juristische Sicherheit allein nicht vor der psychischen Abnutzung schützt, die dieses Ehrenamt mit sich bringt. Wer zwar die Paragrafen beherrscht, aber in emotionsgeladenen Mitarbeitergesprächen, druckvollen Verhandlungen oder unter der Last der Erwartungen die eigene Balance zu verlieren droht, gefährdet langfristig nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch den Erfolg des Gremiums. Der neue vierte Teil der Grundlagen-Ausbildung schließt daher die kritische Lücke zwischen Fachwissen und persönlicher Widerstandskraft, um Betriebsräte dazu zu befähigen, auch in stürmischen Zeiten handlungsfähig zu bleiben. Nur mit erprobten Methoden für einen effektiven Selbstschutz bleibt man dauerhaft in der Lage, anderen helfen zu können. Der Kommunikationsteil des neuen Seminars „Betriebsverfassungsrecht Teil 4“ schließt diese Lücke und stärkt gezielt die persönliche und kommunikative Handlungssicherheit.
Das zentrale Ziel dieser Ausbildungserweiterung ist es, die Stresskompetenz zu stärken. Denn Stress verstehen bedeutet im Betriebsratsalltag zunächst, Belastungen überhaupt erst zu erkennen und dann bewusst beeinflussen zu können. Oftmals liegt die Ursache für Erschöpfung jedoch nicht allein in der offensichtlichen Arbeitsmenge, sondern in der Art der Wahrnehmung. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf den unbewussten Belastungen. Diese oft unsichtbaren Stressoren – wie unterdrückte Emotionen oder verinnerlichte Erwartungshaltungen – wirken im Hintergrund und erhöhen den Druck, ohne dass der Auslöser sofort greifbar ist. Werden diese Mechanismen nicht aufgedeckt, ist eine effektive Entlastung kaum möglich. Um hier entgegenzuwirken und innere Ruhe zu bewahren, bedarf es erprobter Methoden. Zur Illustration dieses Weges dient im Seminar das Konzept des MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction). Durch diese achtsamkeitsbasierte Stressreduktion lernen die Teilnehmenden, den automatischen Reaktionsmodus des Gehirns zu unterbrechen. Techniken wie der Bodyscan helfen dabei, Warnsignale des Körpers frühzeitig wahrzunehmen und so die physischen und psychischen Ressourcen zu schonen.
Diese Form der Selbstfürsorge ist kein „Nice-to-have“, sondern die Voraussetzung, um persönliche Grenzen setzen und bewahren zu können – eine Fähigkeit, die angesichts der spezifischen Situation der Betriebsratsarbeit überlebenswichtig ist. Die Belastungen ergeben sich hier oft aus einer dreifachen Drucksituation: Interne Konflikte im Gremium, der Umgang mit emotional stark belasteten Kolleginnen und Kollegen sowie die ständige Auseinandersetzung mit der Geschäftsleitung. Gerade die „emotionale Ansteckung“ – wenn Sorgen, Frust oder Ängste der Belegschaft ungefiltert bei der Interessenvertretung landen – macht deutlich, wie wichtig ein professioneller innerer Abstand ist. All dieses erfordert ein hohes Maß an Stabilität. Und nur wer selbst stabil steht, kann andere stützen.
Ist die innere Basis gefestigt, richtet sich der Blick auf die Interaktion nach außen, um auch in angespannten Situationen souverän zu agieren. In Verhandlungen mit dem Arbeitgeber geht es selten nur um Sachargumente. Oft entscheiden Gesprächsdynamiken, Spannungen und Machtspiele über den Erfolg. Um diese frühzeitig zu durchschauen, wird im Training das STATUS-Modell vertiefend behandelt. Dieses Werkzeug ermöglicht es, das soziale Gefüge in einem Raum zu analysieren: Wer macht sich groß? Wer macht sich klein? Und wie werden Dominanzgesten eingesetzt? Das Verständnis des Hoch- und Tiefstatus erlaubt es Betriebsräten, die eigene Positionierung im Gespräch bewusst zu steuern, statt unbewusst auf Machtdemonstrationen des Gegenübers anzuspringen.
Besonders hilfreich ist zudem das frühzeitige Erkennen von Konfliktsignalen, also subtiler Hinweise, die oft weit vor der Eskalation sichtbar werden. Diese analytische Klarheit ist notwendig, um Konfrontationen standzuhalten und mit verbalen Angriffen und Kritik gekonnt umzugehen. Wenn Gespräche zu eskalieren drohen, ist es entscheidend, mit gezielter Sprache zu deeskalieren und Klarheit zu schaffen. Als konkreter Lösungsweg wird hierzu die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Marshall B. Rosenberg trainiert. Anders als der Name vermuten lässt, ist dies kein Ausweichen, kein Vermeiden, sondern eine hochwirksame Methode, um in harten Auseinandersetzungen die sachlichen Bedürfnisse von den emotionalen Vorwürfen zu trennen. Sie befähigt dazu, Angriffe nicht persönlich zu nehmen, sondern die dahinterliegenden Interessen zu identifizieren und das Gespräch wieder auf eine konstruktive Ebene zu heben. Die Kombination aus innerer Achtsamkeit (MBSR), strategischer Analyse (STATUS-Modell) und kommunikativer Technik (GfK) sorgt dafür, dass Betriebsratsmitglieder auch unter enormem Druck sicher auftreten und handlungsfähig bleiben.
Martin Erhardt 12/25