Ist es möglich, anhand der Körpersprache zu sehen, was der andere denkt, fühlt und welche Absichten er verfolgt?
Ja, wenn ich meine Kollegin frage, ob sie noch etwas Kaffee nachgeschenkt haben möchte, und sie den Kopf schüttelt, werde ich ihr keinen weiteren Kaffee einschenken. Wenn meine Kollegin allerdings eine gebürtige Griechin oder Bulgarin ist, und sie instinktiv reagiert und nickt, wird sie sich wundern, wenn ich ihr Kaffee nachschenke. Denn in ihrem Herkunftsland bedeutet ein Nicken "Nein".
Und was bedeuten zum Beispiel verschränkte Arme, das Berühren der eigenen Nasenspitze oder was bedeutet es, wenn ich mir an den Nacken fasse oder meine Daumen verstecke?
Zum Glück hat sich herumgesprochen, dass verschränkte Arme vielleicht für "Abwehr" oder "Verschlossenheit" stehen können, aber diese Haltung genauso für denjenigen bequem sein oder zeigen kann, dass er friert oder... Auch wenn die vermeintliche Bedeutung der verschränkten Arme längst als Mythos enttarnt wurde, gibt es nach wie vor zahlreiche Bücher und Artikel, die vermitteln, dass es möglich sei, anhand einzelner körpersprachlicher Signale, die Gefühle und Absichten seines Gegenübers erkennen zu können. So steht zum Beispiel in einer Bahn-Zeitschrift: "Wenn mein Gegenüber sich mit den Händen im Nacken berührt, ist dieses ein Zeichen für emotionales Unbehagen und Zweifel." Oder: "Wenn bei Präsentationen die Daumen versteckt werden, bedeutet dieses Unsicherheit."
Also passen Sie auf, wenn Sie beim nächsten Mal mit Ihrem Chef oder Mitarbeiter sprechen, vielleicht hat er im Zug diesen Artikel gelesen. Aber es wird weder Ihrem Chef noch anderen helfen, jemanden nur anhand einzelner körpersprachlicher Aspekte zu "enttarnen".
Denn die nonverbale Kommunikation ist dafür viel zu komplex, um von einer Geste auf die Befindlichkeit des Gegenübers zu schließen. Körpersprache mit ihren zahlreichen Ausdrucksmitteln (von der Stimme, über die Kleidung bis hin zur Mimik...) ist durch eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte geprägt. So hat u. a. die jeweilige Kultur, die körperliche Dispositionen (bin ich klein, groß...), das Alter, die Familie (manche körpersprachlichen Eigenarten werden unbewusst "abgeguckt"), das persönliche Temperament und die aktuelle Befindlichkeit Einfluss auf die Körpersprache. Insbesondere ist es wichtig, den jeweiligen Kontext der Situation und das Verhältnis der Gesprächspartner/innen zueinander zu berücksichtigen.
Körpersprache bestimmt in erster Linie die Beziehungsebene in der Kommunikation. Diese ist laut Watzlawick (1) (der "Papst" der Kommunikationsforschung) dem Inhaltsaspekt übergeordnet. Fühle ich mich zum Beispiel in einer Gesprächssituation auf Augenhöhe behandelt, gewertschätzt oder abgewertet? Dieses machen wir vor allem an der Körpersprache fest. Allerdings: Was der ein oder andere als "arrogant" oder "dominant" erlebt, hängt auch immer von der eigenen Einstellung und Erwartungshaltung ab und ist somit subjektiv.
Der Wunsch allein anhand von körpersprachlichen Signalen zwischenmenschliche Situationen einschätzen zu können, entspringt zunächst einmal dem natürlichen Bedürfnis, Sicherheit zu erlangen, um Situationen einschätzen zu können. Und tatsächlich machen wir dies meist instinktiv. Aber sich zu wünschen, den anderen anhand einzelner Signale "enttarnen" zu können, kommt meiner Meinung nach einer omnipotenten Vorstellung gleich: "Wie gut, dass niemand weiß, dass ich weiß, was Du denkst ...". Das mag beim Pokerspielen (manchmal) funktionieren....
Nicht das Deuten einzelner Signale macht Kommunikation klarer und effektiver, sondern die bewusstere Wahrnehmung der unterschiedlichen Ausdrucksformen bei sich und seinem Gegenüber, die Fähigkeit die Wirkung von Körpersprache auf sich und auf die "Beziehungschemie" zu erfassen.
Ein Beispiel: Eine Führungskraft erläutert ihrem Mitarbeiter einen Vorgang, den sie delegieren möchte. Während des Gespräches kräuselt der Mitarbeiter seine Stirn oder fasst sich immer wieder in den Nacken. Instinktiv werden somit vielleicht Zweifel an der Klarheit des Auftrages gesendet. Dieses körpersprachliche Signal aktiv mit in die Kommunikation mit einzubeziehen heißt: Nachfragen, ob man sich selber verständlich ausgedrückt hat und evtl. erwähnen, dass man das Stirnkräuseln des Mitarbeiters wahrgenommen hat. Zum Beispiel: "Ich sehe, Sie kräuseln Ihre Stirn, ist etwas unklar geblieben?" Nun wird sich der Mitarbeiter vielleicht eher aufgefordert fühlen, einen unklaren Aspekt anzusprechen oder kann mitteilen, dass er z. B. Kopfschmerzen hat.
Auch für sich selbst sollte gelten, körpersprachliche Signale wahr- und ernst zu nehmen. Zum Beispiel sitze ich mit einem Gesprächspartner zusammen und nehme wahr, dass ich selber sehr angespannt sitze, die Beine übereinandergeschlagen, nur eine Fußspitze auf dem Boden, die Arme verschränkt. Nun kann ich bewusst damit umgehen, z. B. meine Körperhaltung ändern, in der Hoffnung, dass ich mich dadurch etwas entspannen kann. Oder ich registriere, dass mich die Gesprächssituation anspannt. Vielleicht erkenne ich, woran es liegt, und ich kann eine Konsequenz ziehen.
In diesem Sinne fördert das Wahrnehmen der Körpersprache bei sich und anderen eine klarere Kommunikation.