Jenseits der Quote - mehr Frauen für die Betriebsratsarbeit gewinnen!

 

730x300 4 Jugendliche unterhalten sich - Sommer

Alle reden von Diversity und Vielfalt, umgangssprachliche Ausdrücke werden auf „politische Korrektheit“ überprüft. Die Lufthansa spricht nicht mehr von „Damen und Herren“, weil sich eine/r der 365 (sic) Menschen, die sich in Deutschland als „divers“ ins Personenstandsregister haben eintragen lassen, an Bord befinden könnte. In Hamburg werden „Schwarzfahrer“ nicht mehr als solche bezeichnet, weil weniger die Tatsache der „Beförderungserschleichung“ i. S. d. § 265a STGB als die damit möglicherweise assoziierte Hautfarbe in den Fokus genommen wird.

Das sind alles Auswüchse der Bemühungen um Diskriminierungsfreiheit, die nicht gerade zur Akzeptanz des Themas beitragen und von dem wirklichen gesellschaftlichen Auftrag der Gleichstellungspolitik ablenken.

Dieser bezieht sich nämlich zunächst laut Art 3 (2) unserer Verfassung (GG) auf die Gleichstellung von Frauen und Männern und damit auf Gleichstellungspolitik für die Mehrheit der Bevölkerung. Hierfür gibt es einen Förderauftrag des Staates aus Art 3 (2) S. 2 GG. Dieser findet seine zivilrechtliche Entsprechung für die Betriebsparteien im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), dessen 15-jähriges Bestehen wir in diesem Jahr begehen. Auch darin findet sich der Grundsatz, dass das Merkmal Geschlecht nicht zur Benachteiligung führen darf. Das bezieht sich zunächst und vor allem auf die Geschlechtergruppen weiblich und männlich, der sich die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (auf der ganzen Welt) zugehörig fühlt.

Der Betriebsrat hat dafür eine klare Aufgabenzuschreibung in § 80 Ziff. 2 a und b des Betriebsverfassungsgesetzes. Er soll die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen mit Männern fördern, und dabei insbesondere die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit im Blick haben. Darin liegt ein zentraler Ansatzpunkt für betriebliche Maßnahmen. Immer noch tragen nämlich die Frauen das Hauptrisiko aus der Übernahme der Familienarbeit und unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit für die Kinderbetreuung oder arbeiten in Teilzeit. Die Auswirkungen auf ihre finanzielle Absicherung - insbesondere im Alter - sind durch Statistiken hinreichend belegt.[1] In dieser Arbeitsteilung liegt u. a. auch die Begründung dafür, dass es Frauen nicht gelingt, in gleicher Anzahl wie Männer in Führungspositionen aufzusteigen. Männer in Elternzeit, die länger als zwei Monate dauert, sind dagegen weiterhin die Ausnahme. Das strukturelle Risiko der Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern trifft so immer noch vor allem die Frauen.

Das ist nur eines der vielfältigen Themenfelder, die für eine aktive Gleichstellungspolitik zu beackern sind. Dabei erschließt es sich von selbst, dass dies besser gelingen wird, wenn sowohl Frauen als auch Männer im Betriebsrat vertreten sind. Um das sicherzustellen, ist in § 15 BetrVG eine sog. „Minderheitenquote“ festgelegt, die dafür sorgt, dass das Geschlecht, welches zahlenmäßig in der Minderheit ist, entsprechend seinem Anteil an der Belegschaft auch im Betriebsrat vertreten ist. Genau hier aber liegt das Problem, denn oft gibt es grundsätzlich schon zu wenige Frauen, die für den Betriebsrat kandidieren, und das nicht nur in männerdominierten Betrieben.

Frauen sind in Betriebsräten nicht zuletzt deshalb bisher deutlich unterrepräsentiert, wie eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) nach den letzten Betriebsratswahlen 2018 zeigt.[2] In deutschen Betriebsräten sitzen danach nur durchschnittlich 26 Prozent Frauen. In Unternehmen des produzierenden Gewerbes sind es nicht einmal 24 Prozent. In jedem fünften Unternehmen sind Frauen im Betriebsrat trotz Minderheitenquote unterrepräsentiert. Lediglich Dienstleistungsunternehmen verzeichnen eine Frauenquote von immerhin 38! Prozent, was am generell höheren Anteil weiblicher Beschäftigter in dieser Branche liegt, aber dafür immer noch gering ist.
Auch der Betriebsratsvorsitz liegt selten in weiblicher Hand, nur in 18 Prozent der 1.140 befragten Unternehmen leitete eine Frau das Gremium. Der typische Betriebsratsvorsitzende in Deutschland ist damit bis heute männlich und über 50 Jahre alt[3].

Die Umfrage zeigt aber auch: Je mehr Frauen im Unternehmen arbeiten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau auch den Betriebsrat leitet. Außerdem steigen die Chancen, wenn es in der Belegschaft viele Hochschulabsolventinnen gibt.[4] Dennoch bleibt die Bereitschaft von Frauen, sich im Betriebsrat zu engagieren, grundsätzlich verhalten. Woran liegt das?
Frauen bewerben sich besonders selten für Positionen, die sehr zeitaufwändig sind. Das trifft - trotz Freistellungsanspruch - häufig auch auf die Betriebsratsarbeit und besonders den Vorsitz im Betriebsrat zu.[5] Die Begründungen der Frauen nicht zu kandidieren, liegen wie bei sonstigen Führungspositionen auch, meistens in der Hauptverantwortung für die Familienarbeit und der engen zeitlichen Verzahnung beider Aufgabenbereiche.

Insoweit können Betriebsratsgremien mit einer gezielten Gleichstellungspolitik nicht nur ihren Auftrag aus § 80 Zif. 2 a u. b BetrVG für die Belegschaft erfüllen, sondern gleichzeitig dafür sorgen, dass sich mehr Frauen das Betriebsratsamt zutrauen und damit ihre Perspektive und ihre Erfahrungen mit in die Arbeit der Interessenvertretung einbringen. Dafür wäre u. a. auch die zeitliche Organisation der Betriebsratsarbeit zu überprüfen. Liegen die Sitzungen in der Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten? Können Arbeitsstrukturen gestrafft werden, um z. B. einen langen „Sitzungsmarathon“ zu vermeiden? Dazu können besonders die Möglichkeit von Homeoffice und die neuen Bestimmungen für digitale Sitzungen und Abstimmung durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz beitragen (§§ 30-34 BetrVG n.F.).

Nicht zuletzt geht es um Ermutigung von Frauen, die sich aufgrund verinnerlichter Rollenbilder das Amt nicht zutrauen. Hier bieten sich die im Führungskontext bewährten Maßnahmen wie Mentoring oder Coaching an. Wenn die Kolleginnen Unterstützung finden, und nicht das Gefühl haben müssen, „ins kalte Wasser geworfen“ zu werden, könnten einige ihre Vorbehalte überwinden. Dafür sind schon jetzt geeignete Kandidatinnen anzusprechen und Vorbereitungen zu treffen, damit sich die Betriebsratsgremien in Zukunft, insbesondere bezogen auf die Geschlechterverteilung zwischen Frauen und Männern, im besten Sinne diverser zeigen.

 

[1] Statistik der  Bundeszentrale für politische Bildung 28.11.2020 www.bpb.de soziale-situation-in-deutschland

[2] Hagen Lesch u. A., Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft, in IW-trend 4/2018

[3] ebenda

[4] ebenda

[5] ebenda

Seminartipps

Betriebsrat und Genderkompetenz

Geschlechterunterschiede sind insbesondere in unserer Arbeitswelt weiterhin ein aktuelles Thema. Ob die „selbstverständlich“ Protokoll schreibende Frau in von Männern geleiteten Meetings oder die Notwendigkeit eines Lohntransparenzgesetzes -  es gibt noch viel zu tun um echte Chancengleichheit der Geschlechter zu gewährleisten. Dabei spielt „Gender“ - das soziale Geschlecht - eine entscheidende Rolle. Der Betriebsrat hat eine klare Aufgabenzuschreibung aus § 80 Zif. 2 a und b des Betriebsverfassungsgesetzes. Er soll die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen mit Männern fördern, und dabei insbesondere die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit im Blick haben. Die Verteilung von Haus- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern ist dabei ein zentraler Ansatzpunkt für betriebliche Maßnahmen. Ebenso geht es um die Frage warum es Frauen immer noch nicht gelingt in gleicher Zahl wie Männer in Führungspositionen auf zu steigen. Wollen sie am Ende gar nicht, und überlassen den Männern freiwillig das Feld? Warum finden sich im sozialen Bereich und in unteren Gehaltsgruppen dagegen so wenig Männer?

Auf den Punkt: In diesem Seminar wollen wir der Frage nachgehen, was männliches und weibliches Verhalten leitet. Weiterhin ist zu klären, welche Ursachen die Unterschiede in der Wahrnehmung und im Verhalten von Männern und Frauen haben und wie sich diese auf ihre Chancen im Arbeitsleben auswirken. Welche Strukturen brauchen Frauen und Männer um von alten Rollenbildern abweichen zu können und neue chancengleichere Lebensentwürfe für sich zu finden? Wie kann der Betriebsrat eine genderbewusste Organisationsstruktur der Vielfalt fördern, die sowohl den Menschen als auch den betrieblichen Abläufen zu Gute kommt?

Zum Seminar