Ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten außerhalb seiner Arbeitszeit an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen hat, ist berechtigt, die Arbeit in der vorherigen Nachtschicht vor dem Ende der Schicht einzustellen, wenn nur dadurch eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden am Tag gewährleistet ist, in der weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu erbringen ist.
BAG, Urteil vom 18. Januar 2017 - 7 AZR 224/15
Der Fall:
Der Kläger ist Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats und arbeitet im Dreischichtbetrieb. Er war in der Nacht vom 16. Juli auf den 17. Juli 2013 für die Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr bei einer Pause von 2:30 Uhr bis 3:00 Uhr eingeteilt. Am 17. Juli 2013 nahm der Kläger von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr an einer Betriebsratssitzung teil. Mit Rücksicht auf diese Betriebsratssitzung stellte er in der vorherigen Nachtschicht seine Arbeit um 2:30 Uhr ein. Ihm wurde für diese Nachtschicht von der Beklagten nur der Zeitraum bis 3:00 Uhr und von 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger u. a. die Gutschrift der beiden weiteren Stunden von 3:00 Uhr bis 5:00 Uhr verlangt.
Die Lösung:
Die Klage hatte beim LAG und BAG Erfolg.
Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats auch dann von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn eine außerhalb der Arbeitszeit liegende erforderliche Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat. Dem Kläger war die Erbringung der Arbeitsleistung am 17. Juli 2013 jedenfalls ab 3:00 Uhr wegen der um 13:00 Uhr beginnenden Betriebsratssitzung unzumutbar, weil ihm bei Fortsetzung seiner Arbeit zwischen den Arbeitsschichten keine durchgehende Erholungszeit von elf Stunden zur Verfügung gestanden hätte.
- Nach § 5 Abs. 1 ArbZG ist dem Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren.
- Es kann dahinstehen, ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG ist und § 5 Abs. 1 ArbZG deshalb Anwendung findet.
- Jedenfalls ist bei der Beurteilung, ob dem Betriebsratsmitglied in einer solchen Situation die Fortsetzung der Arbeit in der Nachtschicht wegen der bevorstehenden Betriebsratstätigkeit unzumutbar ist, die Wertung des § 5 Abs. 1 ArbZG zu berücksichtigen.
Hinweis für die Praxis:
Die Entscheidung schafft endlich in Teilbereichen Rechtssicherheit. Worum geht es?
- Betriebsratsarbeit ist ehrenamtliche Tätigkeit (§ 37 Absatz 1 BetrVG) und keine fremdbestimmte Arbeit im Sinne des ArbZG. Betriebsratsarbeit findet grundsätzlich in der persönlichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds statt (§ 37 Absatz 2 BetrVG). Ist dies aus betrieblichen Gründen - etwa wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder - nicht möglich, hat das Betriebsratsmitglied für Betriebsratsarbeit außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts (§ 37 Absatz 3 Satz 1 BetrVG).
- Das BAG (Urteil vom 07.06.1989 - 7 AZR 500/88) hat bereits 1989 festgestellt, dass dann, wenn ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teilnimmt, es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar sein kann, seine vor oder nach der Sitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten. Ist dies der Fall, so hat es gemäß § 37 Absatz 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung.
- Das LAG Niedersachsen (Beschluss vom 20.4.2015 - 12 TaBV 76/14, nicht rechtskräftig) geht noch einen Schritt weiter. Zwar anerkennt auch das LAG, dass Betriebsratsarbeit keine Arbeitszeit im Sinne des ArbZG ist. Allerdings, so das LAG, ist dem Betriebsratsmitglied die Erbringung einer Arbeitsleistung regelmäßig unzumutbar, wenn bei einer Zusammenrechnung die werktägliche Höchstarbeitszeit (§ 3 ArbZG) überschritten würde.
Noch immer sind viele Fallgestaltungen denkbar, die bislang nicht entschieden sind:
- Wie sind Fälle zu entscheiden, wo eine "Teilschicht" aus betrieblichen Gründen nicht möglich oder nicht sachgerecht ist? Hat das Betriebsratsmitglied in diesen Fällen, wenn "zwischen" den Schichten eine Betriebsratssitzung stattfindet, Anspruch auf Arbeitsbefreiung für beide komplette Schichten (bei Fortzahlung der vertragsgerechten Vergütung) und auf Freizeitausgleich für die Zeit der Betriebsratstätigkeit?
Weiteres Beispiel:
Betriebsratsmitglied A nimmt am 3.2.2017 an einer von 9 bis 13 Uhr (4 Stunden) stattfindenden Betriebsratssitzung teil. Seine reguläre Arbeitszeit beginnt am 3.2.2017 um 14 Uhr (Spätschicht bis 22 Uhr = 7,5 Stunden Arbeitszeit). Die gemäß § 3 ArbZG maximal zulässige Arbeitszeit pro Kalendertag beträgt 10 Stunden. Wenn man den Grundgedanken des § 3 ArbZG für die Frage der Zumutbarkeit zugrunde legt, dürfte A die Spätschicht 1,5 Stunden vorher, also um 20:30 Uhr beenden.