Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen aus arbeitsrechtlicher Sicht
Die erste Etappe der Koalitionsverhandlungen ist bereits abgeschlossen. Die Arbeitsgruppen aus Union und SPD haben am 24.03.2025 ihre bisherigen Ergebnisse und Textvorschläge für ein künftiges Regierungsprogramm eingereicht. In vielen Themenbereichen herrscht allerdings noch längst keine Einigkeit. Seit Freitag (28.03.) werden die Verhandlungen auf Führungsebene fortgesetzt und es bleibt spannend, ob und wie die bestehenden Streitpunkte gelöst werden können.
Welche Änderungen im Bereich „Arbeit und Soziales“ sind geplant? Wir geben eine kurze Übersicht zu den wichtigsten Punkten.
Zu vielen Punkten gibt es nur einen vorläufigen Stand, der das Ergebnis der ersten Sondierungen von CDU, CSU und SPD wiedergibt (sog. Sondierungspapier). Bereits konkrete Maßnahmen und Stand der Diskussionen können in der erweiterten Fassung in den Ergebnissen aus den Arbeitsgruppen eingesehen werden Trotz der erklärten Vereinbarung zum „Stillschweigen“ sind diese Informationen im Netz verfügbar.
Die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen sollen weiter flexibilisiert werden. Dazu gehört – konkret – die Möglichkeit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit anstatt einer täglichen, um so die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, ohne in den Arbeitsschutz und die geltenden Ruhezeitregelungen einzugreifen.
Um für die Herausforderungen der Digitalisierung und der KI in der Arbeitswelt sozialpartnerschaftliche Lösungen zu erarbeiten, soll die Mitbestimmung weiterentwickelt werden. Anscheinend besteht bereits Einigkeit darüber, dass Online-BR-Sitzungen und Online-Betriebsversammlungen zusätzlich als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten ermöglicht werden sollen. Zusätzlich soll die Option, online zu wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden (vgl. Rn 216 ff. im Ergebnis der Arbeitsgruppe 5) .Für Betriebsräte spannend, insbesondere weil die nächsten turnusgemäßen BR-Wahlen quasi schon vor der Tür stehen. Weitergehender Punkt: Das Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe soll um einen digitalen Zugang ergänzt werden, der den analogen Rechten entspricht.
Das bestehende System soll umgestaltet werden zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende. Wie genau diese Absichtserklärung umgesetzt werden soll, bleibt abzuwarten, da hierzu – neben den Themen Migration und Steuern – die größten Streitpunkte bestehen.
Die Abschaffung von Berichts-, Dokumentations- und Statistikpflichten ist ein bereichsübergreifendes Ziel von Union und SPD. Unter anderem soll dazu auch die Anzahl der gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsbeauftragten reduziert werden, um Aufwand und Kosten für die Unternehmen zu senken.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist angestrebtes Ziel der Koalitionspartner – ganz gleich, ob eine Frau oder ein Mann den entsprechenden Job ausführt. „Gesetzliche Schritte, um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir prüfen“, heißt es im Sondierungspapier. Hierzu müsste übrigens nicht verhandelt werden, denn Deutschland ist so oder so verpflichtet, die EU-Entgelttransparenzrichtlinie bis 2026 in nationales Recht umzusetzen.
Die Fachkräftesicherung soll in den nächsten Jahren verbessert werden, u. a. durch ein jährliches „Familienbudget für Alltagshelfer“ zur Unterstützung von Familien beim alltäglichen Spagat zwischen Kindererziehung, Arbeit, Haushalt, Pflege und auch Erholung. Fachkräfteeinwanderung soll vereinfacht werden, unter anderem durch umfassende Digitalisierung der Prozesse und bessere/schnellere Berufsanerkennung. Dafür soll eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung geschaffen werden.
Arbeit für Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt soll verstärkt gefördert werden und die Barrierefreiheit im privaten und im öffentlichen Bereich soll verbessert werden, so das Sondierungspapier. Auch dies ist nicht diskutabel und damit kein „Ergebnis“, sondern nur eine Wiedergabe bestehender Verpflichtungen sein, vgl. insbesondere das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. In der Arbeitsgruppe „Arbeit und Soziales“ wurden dazu bereits verschiedene konkrete Ansatzpunkte erarbeitet (vgl Ziff. 291ff. des Ergebnisses der Arbeitsgruppe).
Weitergehend sollen steuerfreie Überstundenzuschläge eingeführt werden: Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgeht, sollen steuerfrei gestellt werden. Dadurch sollen auch mehr Fachkräfte in Teilzeit zu einer Stundenerhöhung motiviert werden. „Wenn der Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlt, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen“, heißt es im Sondierungspapier.
Der Mindestlohn soll spätestens bis 2026 auf 15 Euro angehoben werden, so die Feststellung im Sondierungspapier. Dies allerdings nicht durch ein Gesetz, sondern – wie bisher – durch die Mindestlohnkommission. Also auch kein echter Verhandlungspunkt. Die Mindestlohnkommission soll sich an der Tarifentwicklung und an 60 % des durchschnittlichen Bruttolohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Es wird vermutet, dass schon bei der nächsten Erhöhungsentscheidung Ende Juni 2025 ein Wert mit annähernd 15 Euro festgelegt werden könnte (vgl. zum Ganzen auch dazu Pressemitteilung Hans-Böckler-Stiftung vom 24.03.2025)
Das Dauerthema: Rente und Altersvorsorge – hierzu finden sich im Sondierungspapier die Absichtserklärungen, die gesetzliche Altersrente zu sichern und zusätzlich betriebliche Altersvorsorge zu stärken und die private Altersvorsorge zu reformieren. Dazu gehören u. a., dass es weiterhin einen abschlagsfreien Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren geben wird. Mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente soll mehr Möglichkeiten eröffnen, z. B. auch länger zu arbeiten. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, soll bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei erhalten. Nach den Beratungen der Arbeitsgruppe ist die Frage offengeblieben, auf welcher Höhe das Rentenniveau stabilisiert werden soll. Die SPD meint damit das jetzige Rentenniveau von 48 %, die Union sieht Klärungsbedarf auf der politischen Ebene. Vgl. hierzu das Ergebnis aus der Arbeitsgruppe (Rn. 240ff.) oder auch die Zusammenfassung in: „Konsens und Dissens: Noch viel zu tun in den Koalitionsgesprächen“.
Erklärtes Ziel der Sondierungen ist es, dass tarifliche Löhne die Regel sind und nicht die Ausnahme. Ein Bundestariftreuegesetz soll auf den Weg gebracht werden. Sollten dazu die vorangegangenen Entwurfsfassungen aus dem SPD-geführten Arbeitsministerium als Basis dienen, würde es eine Regelung geben, wonach staatliche Aufträge nur an Unternehmen mit Tarifbindungen vergeben werden dürfen.
Es bleibt abzuwarten, wie die strittigen Themen gelöst werden und ob und wie sich die Punkte mit weiteren Konkretisierungen im Koalitionsvertrag wiederfinden. Und weitergehend – das hat die Vergangenheit gelehrt – bleibt dann abzuwarten, was aus dem Koalitionsvertrag im Laufe der Legislaturperiode wirklich umgesetzt wird.
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