Laut einer EU-Studie ist Deutschland innerhalb der Europazone das Land, indem am meisten Überstunden geleistet werden. Im Durchschnitt arbeitet hierzulande jeder Arbeitnehmer fast drei Stunden mehr als er laut Arbeitsvertrag eigentlich soll. So beträgt die vertraglich vereinbarte Wochenzeit durchschnittlich 37,7 Stunden, doch tatsächlich arbeiten die Deutschen im Schnitt 40,4 Stunden pro Woche (Vollzeit).
Ob und wenn ja: Unter welchen Umständen ist der Arbeitgeber berechtigt vom Arbeitnehmer Überstunden zu verlangen?
Grundsätzlich nein. Das in § 106 GewO verankerte Weisungsrecht des Arbeitgebers berechtigt diesen nicht dazu vom Arbeitnehmer einseitig Überstunden zu verlangen. Hintergrund ist hierbei, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer bereits im Rahmen des Arbeitsvertrags auf einen bestimmten Stundensatz geeinigt haben. Diese Vereinbarung darf der Arbeitgeber nicht durch die einseitige Anordnung von Überstunden aushöhlen können.
Aber: Keine Regel ohne Ausnahme!
In den folgenden Fallkonstellationen kann die Aufforderung des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer zur Leistung von Überstunden rechtens sein:
- Einzelvereinbarung: Wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Vorfeld der konkreten Weisung des Arbeitgebers über Überstunden einigen, kann der Arbeitgeber im Einzelfall die entsprechenden Überstunden anordnen. Eine solche Vereinbarung zwischen den Parteien ist formfrei möglich. Auch mündliche oder stillschweigende Vereinbarungen reichen insofern aus.
- Arbeitsvertrag: Auch durch eine spezielle Regelung im Arbeitsvertrag kann der Arbeitgeber berechtigt werden sein, gegenüber dem Arbeitnehmer "einseitig" Überstunden anzuordnen. Da der Arbeitnehmer bei Vertragsunterzeichnung aber genau wissen muss, auf was er sich einlässt, hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit strenge Anforderungen an die Wirksamkeit solcher "Überstundenklauseln" festgelegt. So muss unter anderem die Anzahl der im Höchstfall zu leistenden Überstunden schriftlich fixiert werden.
- Betriebsvereinbarung: Sofern in dem Unternehmen ein Betriebsrat existiert, ist der Arbeitgeber verpflichtet, diesen im Rahmen seiner Überstundenplanung "mit ins Boot zu holen". Für die rechtmäßige Anordnung von Überstunden ist der Arbeitgeber in diesem Fall verpflichtet, sowohl die Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers (bspw. in Form einer Vertragsabsprache) als auch das Einverständnis des Betriebsrats (bspw. in Form einer Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede) einzuholen. Liegt eine dieser beiden Voraussetzungen nicht vor, ist eine Überstundenanordnung seitens der Arbeitgebers unwirksam.
- Tarifvertrag: Darüber hinaus enthalten viele Tarifverträge Regelungen über die Anordnung von Überstunden.
- Notfallsituationen: Auch in sogenannten "Notfallsituationen" ist der Arbeitgeber berechtigt, dem Arbeitnehmer einseitig und ohne Vorankündigung Überstunden anzuordnen. Aber Vorsicht! Notfälle in diesem Sinne sind in der Praxis äußerst selten. Die verspätet eintreffende Warenlieferung oder der plötzlich eintreffende Großauftrag fällt jedenfalls nicht in diese Kategorie.