Resturlaub - in welchem Rahmen kann er in das nächste Jahr übernommen werden?

 

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Zum Ende eines Jahres, stellt mit Sicherheit der ein oder andere Arbeitnehmer fest, dass er seinen gesetzlich festgelegten oder betrieblich vereinbarten Jahresurlaub noch nicht ganz abgefeiert hat. Verschenken möchte die noch ausstehenden Tage wohl kaum jemand. Und dazu, dass das geschieht, besteht auch vorerst keine Sorge! Die verbleibenden Urlaubstage, der sog. Resturlaub, kann grundsätzlich mit in das neue Jahr übernommen werden. Es stellt sich bloß die Frage: in welchem Rahmen ist das möglich und was muss der Arbeitnehmer dabei beachten?

In erster Linie bestimmt sich die Übernahme von Urlaubstagen anhand des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) sowie der geltenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs.

Die Rechtsprechung hat seit dem Jahr 2018 – genauer gesagt seit November - eine nicht unbedeutende Neuerung erfahren.

Aber zunächst einmal zu den Basics und den gesetzlichen Grundlagen:

Dass überhaupt ein Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub besteht, regelt § 1 BUrlG.

§ 3 BUrlG konkretisiert sodann die Anzahl der Tage, die mindestens im Kalenderjahr zu gewähren sind. Dies sind 24 Tage bei einer Sechstagewoche, dementsprechend 20 bei einer Fünftagewoche und 16 bei einer Viertagewoche.

Tipp: Laut § 7 Abs. 1 BUrlG sind im Übrigen bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswüsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Anders sieht es nur aus, wenn der Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegenstehen. Andere Arbeitnehmer müssen dann unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen (z. B.: Eltern mit schulpflichtigen Kindern haben während der Ferienzeit Vorrang auf Genehmigung von Erholungsurlaub gegenüber kinderlosen Arbeitnehmern oder solchen, deren Kinder noch nicht oder nicht mehr schulpflichtig sind).

Das heißt: Der Arbeitgeber darf also nicht willkürlich über die Vergabe entscheiden und ist dazu gezwungen, individuelle Belange unbedingt zu berücksichtigen. Trotzdem hat er, was die zeitliche Festlegung des Urlaubs betrifft, das letzte Wort. Daraus entstehen für ihn gleichzeitig Rechte und Pflichten, auf die unten noch genauer eingegangen wird.

Eine entscheidende Aussage für die Übertragbarkeit von Urlaubsansprüchen in das Folgejahr trifft § 7 BUrlG. Dort heißt es im dritten Absatz:

“Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des Folgejahres gewährt und genommen werden.“

Soweit, so gut. Aber was meint der Gesetzgeber genau, wenn er von „dringenden betrieblichen Gründen“ oder von „in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen“ spricht?

Das bleibt Auslegungssache der Gerichte und ist auch immer von der konkreten Situation abhängig. Allgemein lässt sich aber sagen, dass ein dringender betrieblicher Grund vorliegt, wenn der Arbeitgeber ein ernsthaftes Interesse daran hat, dass der jeweilige Arbeitnehmer den Urlaub erst im neuen Jahr nimmt. Dieses Interesse muss dann auch das Interesse des Arbeitnehmers an der sofortigen Gewährung von Urlaub überwiegen. Beispielsweise kann das der Fall sein, wenn zum Jahresende noch viel Arbeit im Betrieb ansteht oder wenn in diesem Zeitraum bereits anderen Arbeitnehmern Urlaub gewährt worden ist.

In der Person des Arbeitsnehmers liegende Gründe liegen dagegen z. B. vor, wenn der Arbeitnehmer zum Jahresende krank ist. Es kann sogar ausreichend sein, wenn ein (naher) Angehöriger erkrankt, mit dem der Urlaub gemeinsam verbracht worden wäre. Auch hier ist immer der genaue Einzelfall zu betrachten. Auf der einen Seite sind dabei zwar keine hohen Anforderungen an die Begründung zu stellen, auf der anderen Seite reicht es nicht aus, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub einfach lieber im nächsten Jahr nehmen möchte.

Nun zur Rechtsprechung von EuGH und BAG:

Seit einer wichtigen Entscheidung des EuGHs aus dem Jahr 2018 (EuGH, Urteil vom 06.11.2018, C-619/16) sieht die Lage für den Arbeitnehmer noch etwas besser aus. Unter Berücksichtigung des Art. 7 Abs.1 der Richtlinie 2003/88/EG hat der EuGH nämlich entschieden, dass der Urlaub eines Arbeitnehmers grundsätzlich nicht verfallen darf, nur, weil er bis zum 31.Dezember nicht beantragt und abgefeiert wurde. Wir sehen: § 7 Abs.3 BUrlG, wie wir ihn oben bereits kennen gelernt haben, wird nun durch die Rechtsprechung ergänzt.

Das Bundesarbeitsgericht ist dieser Entscheidung erstmals im Januar 2019 gefolgt (BAG, Urteil vom 19.02.2019, AZ: 9 AZR 541/15). Nach seiner Ansicht sind immer zwei ungeschriebene Voraussetzungen erforderlich, damit der Urlaubsanspruch überhaupt verfallen kann:

  1. Der Arbeitnehmer muss rechtzeitig vor Ende des Jahres vom Arbeitgeber aufgefordert worden sein, sich den verbleibenden Urlaub zu nehmen.
    Achtung: Hier reicht eine allgemeine Aufforderung an alle Arbeitnehmer nicht. Der einzelne Arbeitnehmer muss sich viel mehr persönlich angesprochen fühlen und er muss auf die konkrete Anzahl der ihm verbleibenden Urlaubstage hingewiesen werden.
     
  2. Der Arbeitnehmer muss weiterhin ausdrücklich über die Folge informiert werden, die eintritt, wenn er dies versäumt - nämlich der Verfall des Resturlaubs.

Zusammengefasst bedeutet das also, dass sich rechtlich eigentlich nicht viel geändert hat, außer, dass der Arbeitgeber nun aktiv darauf hinwirken muss, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub rechtzeitig bis zum 31. Dezember bzw. spätestens bis zum 31.März abfeiert. Damit wird der Arbeitgeber gezwungen, Verantwortung für einen Bereich zu übernehmen, für den vorher noch der Arbeitnehmer selbst zuständig war. Geschieht dies nicht - fordert der Arbeitgeber den Arbeitnehmer also nicht auf - werden die noch offenen Urlaubstage aus dem Vorjahr insgesamt in das folgende Kalenderjahr übernommen. Im Falle eines Streits ist der Arbeitgeber beweispflichtig im Hinblick auf seine aktive Mitwirkung.

Als Begründung hat das BAG sinngemäß aufgeführt, der Arbeitgeber hätte bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs grundsätzlich das letzte Wort. Aus diesem Recht würde auch die Pflicht erwachsen, dafür zu sorgen, dass der Urlaub dann auch tatsächlich genommen werde.  Der Arbeitgeber sei letztlich in der stärkeren Position und habe deshalb auch für Transparenz zu sorgen. Hier kommt also genau der Inhalt des § 7 Abs.1 BurlG ins Spiel, den wir bereits aus dem obigen Tipp kennen! Dieser ist schlagendes Argument in der Begründung des Gerichts.

An dieser Rechtsprechung hat der EuGH bereits in mehreren Urteilen festgehalten.

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